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Siemens legt Schuldverschreibung über 60 Millionen Euro auf Polygon-Blockchain auf

Siemens-Gründer Werner von Siemens im Porträt von Giacomo Brogi. Gemeinfreies Bild.

Der deutsche Technologiekonzern Siemens hat zusammen mit der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe das erste große Kryptowertpapier in Deutschland herausgegeben. Damit wird das Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) Wirklichkeit. Dass Siemens und die Privatbank dafür die öffentliche Blockchain Polygon ausgewählt haben, ist ein bemerkenswerter Schritt.

Da Siemens bereits seinen Kunden bei der digialen Transformation unterstützt, erklärt Finanzvorstand Ralf P. Thomas, sei es “nur konsequent”, dass der Technologie-Konzern auch im Finanzbereich “die neuesten digitalen Lösungen” testet. Solchen Worten lässt Siemens mit der Ausgabe eines digitalen Wertpapiers über 60 Millionen Dollar auf der Polygon-Blockchain Taten folgen.

Siemens hat zusammen mit der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe als erstes großes Unternehmen Deutschlands ein “Kryptowertpapier” nach dem Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) herausgegeben. Die Inhaberschuldverschreibung hat einen Umfang von 60 Millionen Euro und wurde an die DekaBank, DZ Bank und Union Investment verkauft.

“Die Blockchain-basierte Begebung der Anleihe besitzt gegenüber dem bisherigen Verfahren Vorteile,” erklärt die Pressemitteilung, durch sie kann “auf eine papierhafte Globalurkunde und ein zentrales Clearing verzichtet werden. Zudem ist ein direkter Verkauf an Investoren ohne Zwischenverkauf an Banken möglich.” Corporate Treasurer Peter Rathgeb schwärmt, durch die “Abwicklung des Wertpapiers auf einer öffentlichen Blockchain können wir Transaktionen bedeutend schneller und effizienter als bisherige Anleiheemissionen abwickeln.” Mit dem Kryptowertpapier habe der Konzern “einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung digitaler Wertpapiere in Deutschland gesetzt.” Zur Frage, ob dem wirklich ist, kommen wir gleich.

Die Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe fungiert bei der Kryptowertpapierausgabe als Registerführer und Zahlstelle. Sie erklärt, dass das Wertpapier “entsprechend der gesetzlichen Rahmenbedingungen für elektronische Wertpapiere in einem dezentralen Register auf einer öffentlichen Blockchain registriert” wurde. Die Bank sichert dabei die privaten Schlüssel mit ihrem Treuhandservice Hauck Aufhäuser Digital Custody (HADC). Durch diese Struktur “war keine Abwicklung über einen Zentralverwahrer oder einen Market Maker notwendig. Die Parteien konnten somit direkt bilateral miteinander handeln und das Papier über das Register abwickeln.”

Wir haben also die merkwürdige Situation, dass Siemens auf der einen Seite sich darüber freut, dass ein direkter Verkauf der Anleihe ohne die Bank als Zwischenhändler möglich sei – während die Bank Hauck Aufhäuser Lampe die privaten Schlüssel für die Wertpapiere hält, ohne die kein Transfer oder Besitz möglich ist. Die Bank bleibt Verwahrer – aber der Transfer läuft ohne Mittelsmann bzw. -händler von Siemens zu den Investoren. Dieses Konstrukt ist noch längst nicht so weit, wie man es vom Kryptomarkt gewohnt ist, und sie wirkt auf eine gewisse Weise halbfertig. So wurden die Zahlungen “auf klassischem Wege abgewickelt, da für die Transaktion noch kein digitaler Euro zur Verfügung stand”, wodurch die Transaktion zwei Tage dauerte.

Dennoch stellt es einen bemerkenswerten Fortschritt dar. Besonders bemerkenswert dabei ist, dass die Privatbank und Siemens sich für eine öffentliche Blockchain entschieden haben und das auch explizit betonen, Polygon, eine Sidechain von Ethereum oder, je nach Perspektive, eine eigenständige Blockchain, die so tut, als sei sei eine Sidechain. Hauck Aufhäuser Lampe erklärt, dass eine solche dezentrale Struktur in Zukunft “präzisere, kleinteiligere und technisch gesteuerte Begebungen” erlauben wird. Diese Hinwendung zu offenen Blockchains anstatt Pseudoblockchain-Projekten wie Hyperledger oder Ethereum Enterprise zeigt, dass auch die großen Unternehmen und Banken mittlerweile verstehen, worum es bei Blockchains wirklich geht.

Die Privatbank legt so das eWpG auf eine eher dezentrale Weise aus. Das Gesetz erkennt Kryptowertpapiere als eine besondere Form der elektronischen Wertpapiere an. Sie werden auf einem fälschungssicheren und transparenten “Aufzeichnungssystem” registriert, für das eine Blockchain perfekt passt, das jedoch von einem zentralen und lizensierten Finanzdienstleister, dem “Kryptowertpapierregisterführer”, geführt wird, der zugleich Verwahrer ist. Es verlangt also eine hybride Struktur zwischen Blockchain-Token und klassischer Papier-Aktie, die zwar die Blockchain als dezentrales Register anerkennt, aber keine individuelle und autonome Verwahrung der Wertpapiere durch Investoren vorsieht.

Die Ausgabe der Inhaberschuldverschreibung durch Siemens ist ohne Zweifel ein Meilenstein – jedoch nur, wenn es darum geht, die Verfahren der Wertpapierausgabe technologisch zu optimieren, indem man etwa Reibungen beseitigt. Ein Paradigmenwechsel oder ein echter Durchbruch ist es allerdings nicht. Dazu müsste es möglich sein, auch die anderen Eigenschaften von Blockchain-Token zu übernehmen, etwa die Möglichkeiten, Schlüssel autonom zu verwahren, in andere Wallets oder auf Papier zu exportieren, und nicht zuletzt, das Token in einem vielfältigen Set von Smart Contracts auf verschiedenen Blockchains zu verwenden. Ein echtes “Kryptowertpapier” sollte auch auf dezentralen Börsen gehandelt, auf dezentralen Plattformen geliehen oder verliehen, und von algorithmischen Stablecoins wie den DAI-Dollar in die Reserve aufgenommen werden. Der Weg auf eine öffentliche Blockchain ist begangen – doch der Spass und das, was den Schritt wirklich spannend machen würde, ist noch nicht mal in Sichtweite.

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2 Kommentare zu Siemens legt Schuldverschreibung über 60 Millionen Euro auf Polygon-Blockchain auf

  1. Gut geschrieben!
    Ja, das ist so wie jemand, der an den See zum Baden geht, sich dann aber nur hinsetzt und die Beine ins Wasser hängt.

  2. Naja, die Ängstlichen verlieren so vielleicht erst ihre Angst vorm tiefen Wasser.
    Während andere Mutige schon längst im Tiefen planschen. Jeder in seiner Geschwindigkeit. Dann kommen wir am Ende alle im Wasser an.

    Ich sehe das, was Siemens da macht, genau wie Christoph, als Fortschritt.

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