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Polygon Matic: die erste unter den Sidechains

Screenshot von der Polygon Webseite

Polygon (MATIC) ist die erste wirklich erfolgreiche Sidechain. Sie ist fast überall am Start, wo Ethereum skaliert wird. Wir werfen einen Blick ins Getriebe.

Irgendwann im vergangenen Jahr, als sich ein Doppelhype um DeFi und NFTs zusammenbraute, explodierten die Gebühren auf Ethereum. Die Nachfrage nach Smart Contracts hatte die Kapazität von Ethereum bei weitem überstiegen.

Polygon (Matic) war genau zur richtigen Zeit zur Stelle. Eine Anwendung nach der anderen integrierte die Sidechain: die führende NFT-Plattform OpenSea, die dezentralen Börsen Uniswap und SushiSwap, die Lending-Plattform Aave. Selbst Adidas, Prada, Instagram und RAF Camora bauen ihre NFT-Projekte auf Polygon, während man beim PayPal-Konkurrent Stripe Stablecoin-Dollar über die Sidechain empfangen kann. Und so weiter.

Polygon hat es weit gebracht. Weiter als jede andere Sidechain, ob auf Ethereum, wo es konkurrenzlos ist, oder auf Bitcoin, wo Liquid und Rootstock ein Geisterhaus bleiben. Mittlerweile verwenden mehr als 19.000 Dapps die Sidechain, so die Polygon-Webseite.

Polygon ist die erste wirklich erfolgreiche, in massivem Umfang kommerziell genutzte Sidechain. Sie könnte das Ereignis der „Layer-2-Skalierung“ sein, auf das das Ökosystem so lange wartet: Der Beweis, dass Blockchains in Schichten skalieren können.

Zeit, sich Polygon genauer anzuschauen.

Wie Ethereum, aber halt günstiger und schneller

Polygon ist vollständig kompatibel mit Ethereum, sowohl für Smart Contracts als auch Wallets. Wer Ethereum kann, kann auch Polyon, ob als Entwickler oder als User.

Wer zum Beispiel Metamask als Wallet verwendet, braucht keine halbe Minute, um sie auf Polygon auszurichten: Man muss nur das Netzwerk wechseln. Der Online-Guide braucht keine drei Absätzen aus.

Volle Kompatibilität und geringe Gebühren – das waren die beiden Faktoren, die Polygon so erfolgreich gemacht haben. Bis März 2021 sah die Blockchain etwa 100.000 Transaktionen am Tag. Andere Chain, etwa Cardano, sind stolz auf eine solche Zahl, doch für Polygon war sie nur der Anfang. Im Chart ist sie heute kaum mehr zu erkennen.

Ab April oder Mai explodierte die Anzahl an Transaktionen auf mehr als eine Million am Tag. Im Sommer 2021, dem DeFi- und NFT-Sommer, erreichte sie eine Spitze von fast neun Millionen. Das sind gut 100 in der Sekunde.

Mittlerweile hat sich die Anzahl zwischen 2 und 3 Millionen eingependelt, und Polygon hat sich fest als Säule des Ökosystems etabliert: Die meisten wichtigen Token, NFTs und Dapps auf Ethereum sind Polygon-fähig.

Wer die Sidechain anstatt der Mainchain verwendet, spart massiv an Gebühren. Derzeit kostet ein ERC-Transfer auf Ethereum etwa 1,1 Dollar, auf Polygon 2,6 Cent. Noch mehr spart man bei komplexeren Operationen, etwa einem Wechsel auf einer DEX oder der Prägung eines NFT.

Diese geringen Gebühren trotz der hohen Last zeigen, dass Polygon das leistet, was es verspricht – es skaliert. Aber welchen Preis bezahlt die Sidechain dafür? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns in der Technologie von Polygon versenken.

DIE Polygon-Blockchain gibt es gar nicht

Der erste lustige Fakt über Polygon ist, dass es DIE Polygon-Blockchain gar nicht gibt. Daher die oft hinzufügte Bezeichnung „Matic“.

Polygon ist vielmehr ein breites Framework unter dem Titel „Polygon Edge“. Es soll helfen, Ethereum zu skalieren, indem es ermöglicht, “optimierte Instanzen von Ethereum” zu bilden, “die so flexibel und skalierbar sind wie eigenständige Blockchains, aber so sicher und interoperabel wie Ethereum.”

Edge zerlegt die Technologie in Module: der Konsensalgorithmus, das Networking, die Smart-Contract-Sprache, die Interoperabiltät, Bridges und mehr. So kann man sich seine eigene Wunschblockchain zusammenstellen und diese, verspricht die Webseite, durch einen Klick starten.

Matic, das Flaggschiff von Polygon

Das Flaggschiff von Polygon ist aber klar die Matic Sidechain. Diese wird auch Polygon PoS genannt, weil sie den Konsens über das Proof-of-Stake-Verfahren herstellt.

Dieser ist eine Eigenschöpfung. Er arbeitet laut Whitepaper auf zwei Ebenen: Die Staker und die Blockproduzenten. Die Staker frieren ihre Matic-Token auf der Ethereum-Blockchain ein und wählen die Blockproduzenten. Diese bilden auf der Matic-Sidechain die Blöcke. In bestimmten Intervallen legen die Staker einen Checkpoint auf der Ethereum-Blockchain ab, womit vergangene Matic-Transaktionen ebenso final werden wie auf Ethereum.

Dieser zweischichtige Konsens-Algorithmus erlaube es, so das Whitepaper, unheimlich schnell neue Blöcke zu erzeugen und zu verifizieren, während Dezentralität und Sicherheit hoch bleiben.

Es gab zwar Ende 2021 einen Hack. Doch die Beute war überschaubar (gut zwei Millionen Dollar), und Kernfunktionen wurden nicht berührt. Seitdem gab es keinen Vorfall mehr; das Ökosystem findet offenbar, dass Polygon sicher genug ist.

Brücken zwischen den Ketten

Brücke über Victoria Falls in Simbabwe. Bild von Henning Supertramp via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Eine Brücke verbindet die beiden Blockchains für die User. Dafür sorgen die PoS-Bridge oder die Plasma-Bridge.

Wenn ein User ein Token von Ethereum auf Polygon bringen will, muss er es lediglich in einem Smart Contract ablegen. Der Contract friert das Token ein, woraufhin es auf Polygon dupliziert wird. Dies geschieht automatisch, da die Polygon-Nodes die States beider Blockchains synchronisieren, und natürlich funktioniert die Brücke in beide Richtungen.

Damit Token auf Polygon verfügbar sind, müssen die Entwickler (oder User) sie „mappen“. Dank der einfach zu bedienenden Werkzeuge dürfte das maximal ein paar Minuten dauern. Weiterführende Smart Contracts sind ein wenig komplizierter, aber dank guter Werkzeuge für Entwickler ebenfalls eine leichte Übung.

Proof of Authority und ZK-Rollups

Matic ist im Zentrum von Polygon. Doch das Framework geht weiter darüber hinaus. Es bietet weitere Konsensalgorithmen, etwa Proof of Authority (PoA), ein Ripple-artiger Wahlmechanismus, der in einem Testnet von Ethereum debütierte, aber stabil genug ist, um auch wirkliche Blockchains zu betreiben.

Ein Schwerpunkt von Polygon Edge sind Rollups. Diese bilden neben Sidechains die zweite Säule der vielschichtigen Skalierung von Ethereum. Im Grunde macht Polygon mit den Rollups der eigenen Matic-Blockchain Konkurrenz.

Rollups skalieren nicht durch eine weitere Blockchain, sondern indem eine meist zentrale Partei die Transaktionen entkernt und ihre Resultate in einem Smart Contract auf Ethereum ablegt. Dies spart enorm viel Platz; kryptographische Verfahren wie Zero-Knowledge-Proofs verhindern, dass die Betreiber der Rollups betrügen können.

Polygon enthält nun eine beeindruckende Kollektion von Rollup-Varianten: Hermez, Zero, Nightfall, zkEVM und Miden. Diese unterscheiden sich in Details, etwa der Sicherheit, der Geschwindigkeit oder der Privatsphäre. Besonders bemerkenswert sind dabei zwei Errungenschaften: Hermez ist angeblich dezentral, und zkEVM deckt alle Opcodes von Ethereum ab. Beides wären technische Durchbrüche.

Es wäre zuviel, hier tiefer ins Detail zu gehen.

Das Token $MATIC

Zuletzt wird es noch um das MATIC-Token gehen. Das ist das native Token der Polygon Sidechain, und sozusagen ihre dunkle Seite.

Polygon verkaufte 2019 knapp zwei Milliarden $MATIC in einem IEO – ein Initial Exchange Offering – über die Börse Binance. Mit dem Erlös aus diesem Token-Sale finanzierte die Polygon-Foundation die Entwicklung der Software und den Aufbau des Ökosystems.

Daneben erfüllen die Token für das Ökosystem mehrere Zwecke:

  1. User benötigen sie, um die Netzwerkgebühren zu bezahlen. Sie sind wie Ether bei Ethereum oder jedes andere native Blockchain-Token. Für die User ist dies ein Hindernis, da sie erst die Token kaufen müssen, um Polygon zu benutzen. Ökonomisch gesehen macht dies Matic auch eher zu einer alternativen Blockchain anstatt einer Sidechain.
  2. Staker benötigen die Token, um mit abzustimmen, wer Blockproduzent ist. Sie können die Token damit auch verzinsen.
  3. User können mit den Token darüber abstimmen, welche Verbesserungen in Polygon bzw. Matic umgesetzt werden. Dies ist der Ansatz zu einer Polyon DAO, die aber, soweit ich es sehe, diesen Namen noch nicht verdient.

Als Investment macht sich das Token allerdings eher mittelmäßig. Es ist im Ranking nach Marktkapitalisierung mit knapp 7 Milliarden Dollar auf dem 13. Platz. Ende 2021 waren dies kurzzeitig mehr als 20 Milliarden; der Kurs hatte fast drei Dollar erreicht; heute liegt er bei 80 Cent.

Kursverlauf von Polygon seit Anfang 2021 nach Coinmarketcap.com

Das ist prinzipiell ansehnlich, wird aber nicht ganz dem gerecht, dass Polygon die erfolgreichste Skalierung von Ethereum ist. Die Binance Smart Chain zum Beispiel hat bei nur etwas höherem Transaktionsvolumen eine zweieinhalb Mal so hohe Marktkapitalisierung.

Dies zeigt, dass es kein direktes Verhältnis zwischen Nutzung und Tokenwert gibt. Viel entscheidender dürfte die Distribution der Token sein.

Die Tökonomie

Als $MATIC 2019 geboren wurde, gab es 2,83 Milliarden Token. Von diesen gingen 1,9 Milliarden an Investoren, der Rest an die Foundation und einen Ökosystem-Fonds.

Distribution der MATIC-Token nach messari.io

Im Lauf der Zeit erhöht sich die Gesamtmenge sukzessive, indem neue Token für Staker, Entwickler, Ökosystem-Fond, Foundation und andere Parteien geschöpft werden. 2025 erreicht die Menge mit 10 Milliarden ein Plateau und wächst nur noch langsam durch das Staking.

Die Distribution der Token ist dabei extrem zentralisiert: Das „Team“ erhielt 17,7 Prozent der heute existierenden gut acht Milliarden Token, die Foundation mehr als 20, der Ökosystem-Fond mehr als 25 Prozent. Dezentral verteilt wurden nur 7 Prozent an die Staker und 20 Prozent an die Teilnehmer der IEO.

Die Token von Team, Foundation und Fond sind langfristig gebunden (vested). Vor kurzem wurden 1,4 Milliarden MATIC aus einer solchen Bindung gelöst. Sie flossen zum Teil an das Team, zum Teil an die Foundation, die sie in den Staking-Contract ablegten. Dies sorgte zwar für Aufregung, verlief jedoch ganz nach Plan. Es zeigt aber, dass in der zentralisierten Token-Verteilung Risiken liegen: Gelöste Token können den Markt fluten oder, wenn sie fürs Staking verwendet werden, Polygon bis in den Konsens-Mechanismus hinein zentralisieren.

Ähnlich wie Ripple macht dies Polygon für Investoren deutlich weniger attraktiv. Für User und Entwickler hingegen hat sich Polygon einen Platz im Blockchain-Universum erobert, den es nicht so bald wieder abgeben dürfte.


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3 Kommentare zu Polygon Matic: die erste unter den Sidechains

  1. Die Distribution der Token ist dabei extrem zentralisiert: Das „Team“ erhielt 17,7 Prozent der heute existierenden gut acht Milliarden Token, die Foundation mehr als 20, der Ökosystem-Fond mehr als 25 Prozent. Dezentral verteilt wurden nur 7 Prozent an die Staker und 20 Prozent an die Teilnehmer der IEO.

    Das kann man tatsächlich als Scam verbuchen, die Zentralisierung ist erschreckend und alles andere, was ich mir persönlich von einer dezentralen Blockchain erwarte. Ich sehe tatsächlich keinen einzigen positiven Aspekt mehr, warum ich auf eine solche Technologie setzen sollte, statt einer zentralen Datenbank, von mir aus mit regelmäßigen hashed Timestamps auf Bitcoin oder Monero. Auch die „vorzeige“-DEX Bisq ist einem Token-Scam verfallen, den ich nicht gut finde. Fees für Escrow & Co. könnten auch mit bestehenden Coins bezahlt werden, aber man will per Vorkasse eventuelles Development später „finanzieren“, wohl eher bereichern. In den aktuellen Top100 Marktkapitalisierung gehören wahrscheinlich mehr als 90% in diese Kategorie oder sind „Stablecoins“. Selbst Ethereum gehört dazu, es war eigentlich der First-Mover, der dann zu solchen Ausfällen wie EOS, IOTA & Co. geführt hat.

    Meine Meinung: Wir müssen erstmal Payment hinbekommen, welches der Privatsphäre und geltenden Datenschutzbestimmungen gerecht wird und auch noch skaliert. Bis dahin ist alles DeFi für mich Spielerei und Spekulation, die vielleicht 5-20% Erfolgsquote verspricht, dass sich auch nur irgendeines der Projekte tatsächlich langfristig etablieren wird. Privacy ist selbst bei Monero noch nicht perfekt, auch Skalierbarkeit muss sich noch beweisen, auch wenn ich davon ausgehe, dass das Netzwerk mittelfristig x1.000 ohne jede Änderung ausgehend der heutigen Transaktionen skalieren kann, was ca. x100 der (aus Ideologie limitierten) Bitcoin Transaktionen wäre. Ist nur meine Meinung, muss sich tatsächlich beweisen und eine Simulation im Testnet bringt nichts, weil es keine Real-Nodes enthält.

    Das ist im Vergleich weiterhin wenig, wenn man die 1,5 Mrd. Transaktionen täglich per Kreditkarte als Grundlage sieht, aber eine solche Adoption ist unwahrscheinlich selbst binnen weniger Jahre, es wäre also noch genug Zeit, eine Lösung / Kompromiss auszuloten.

    Bis wir das nicht geschafft haben, werden wir auch keinen dezentralen „Weltcomputer“ sehen.

  2. „Selbst Adidas, Prada, Instagram und RAF Camora bauen ihre NFT-Projekte auf Polygon, während man beim PayPal-Konkurrent Stripe Stablecoin-Dollar über die Sidechain empfangen kann. Und so weiter.“

    Auch AOL hatte zu seiner goldenen Zeit etliche Partnerschaften, wie z.B. mit CNN, Warner Brothers, Disney, etc. Muss also noch nichts heissen.

  3. Die Zentralisierung ist scheinbar gravierender als auf den ersten Blick erkennbar, selbst wenn der Admin-Key tatsächlich gesplittet ist und nicht in einer Hand liegt, wofür es offenbar keinen Nachweis / Transparenz gibt, basiert er auf einem 5 von 8 Multisig, wovon 4 den Gründern gehören und die restlichen 4 von diesen ernannt wurden und nur einer von ihnen zusammenarbeiten müsste, um den Smart Contract nach Belieben zu verändern…
    https://twitter.com/Justin_Bons/status/1559218289208971267

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