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US-Aufsicht SEC verklagt größte Kryptobörse Binance

Justice. Bild von openDemocracy via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Die Börsenaufsicht SEC wirft der Kryptobörse Binance zahlreiche Regulierungsverstöße vor. Die Klagepunkte sind vielsagend, und das Verfahren könnte stellvertretend entscheiden, welche Kryptowährungen in den USA gehandelt werden dürfen. Für die SEC könnte die Klage hochprofitabel werden – doch Binance gibt sich kämpferisch.

Die US-Börsenaufsicht klagt Binance, die größte Kryptobörse der Welt, an. Binance und ihrem Chef Changpeng Zhao werden 13 Klagepunkte vorgeworfen.

Einen Teil der Klage bildet der Handel mit nicht-lizensierten Securities („Wertpapieren“), sowohl Kryptowährungen als auch Earn-Programme wie Staking. Der größte Teil der Klage zielt jedoch darauf, dass Binance zwar in der Öffentlichkeit gelobte, US-Kunden zu blocken, aber intern alles daransetzte, um diese zu behalten. Als Bonus deckt die SEC auf, was die meisten schon vermutet haben: dass Binance Washtrading betrieben hat, um das Handelsvolumen hoch zu jazzen.

Jeder dieser Punkte wirft spannende Fragen auf, viele sagen mehr über die SEC als über Binance aus, und manche könnten richtungsweisend für das ganze Ökosystem sein. Die Klage gegen die SEC könnte zu einer gewaltigen Stellvertreterklage werden, bei der Recht nicht nur angewendet, sondern definiert wird.

Was ist ein Wertpapier, was nicht?

Wir haben uns durch Pressemitteilungen, Statements, Tweets und die 136-seitige Klageschrift gearbeitet, um aus einer Flut an Informationen das wichtigste herauszuziehen.

Für das Ökosystem der Kryptowährungen ist das wichtigste die Frage, welche Coins Securities, also Wertpapiere, sind, welche nicht und wo die Grenze verläuft. Diese Frage ist enorm wichtig, da keine Krypto-Börse eine Lizenz hat, Wertpapiere zu handeln, weshalb die Einordnung als Security effektiv einem Handelsverbot entspricht.

Die SEC klagt Binance nun an, den Kunden zu ermöglichen, mit „Crypto Assets zu handeln, die als Investment-Vertrag angeboten und verkauft werden und daher Securities sind.“ Zu diesen gehören, so die SEC, unter anderem BNB, BUSD, SOL (Solana), ADA (Cardano), MATIC (Polygon), FIL (Filecoin), ATOM (Cosmos), SAND, MANA, ALGO, AXS und COTI. Warum diese Token Securities sind, erklärt die Klageschrift relativ ausführlich. Zwei Beispiele:

  • Bei Cardano haben „die Cardano Foundation, IOHK und Emurgo ihre Expertise spezifiziert, Blockchain-Netzwerke zu entwickeln, und ihre Bemühungen beschrieben, das Cardano-Protokoll zu entwickeln und User anzuziehen.“
  • Die Firma hinter Polygon hat erklärt, dass sie einen großen Teil der MATIC-Token ins Ökosystem steckt. In diesem Jahr hat Polygon zudem 9,6 Millionen Token verbrannt und es als „deflationären Effekt“ beworben, was Investoren dazu geführt habe, auf Preiserhöhungen von MATIC zu hoffen.

Die SEC zielt darauf ab, dass Investoren in Token nicht ohne Grund erwarten, durch das Agieren eines Unternehmens Gewinne zu machen. Sollte dies en passant durchgehen, könnte die Klage gegen Binance zum Stellvertreterprozess werden, der unter der Hand entscheidet, wer die aufsichtsrechtliche Hoheit über einige der wichtigsten Kryptowährungen hat – die SEC oder die für Rohstoffderivate zuständige CFTC – und welche Art von Regulierung greift.

Bemerkenswert ist auch, welche Coins nicht auftauchen:

  • Ripple wird vermutlich wegen des laufenden Verfahrens nicht erwähnt.
  • Klassische Proof-of-Work-Coins wie Litecoin, Dogecoin und Bitcoin Cash ebenfalls nicht.
  • Am auffälligsten ist aber das Fehlen von Ethereum. Das stößt besonders manchen Bitcoin-Maximalisten sauer auf, die den Wert von Bitcoin vorrangig darin sehen, dass Ethereum ein Security ist.

Der Blocktrainer unterschlägt diese wichtige Info kurzerhand, während Cory Klippsten von Swan Bitcoin tobt: „Das krasseste Versäumnis in der SEC-Klage gegen Binance ist es, ETH, das Token, das von der Ethereum Foundation und Consensys beworben und verkauft wurde, nicht in die Liste der Securities aufgenommen zu haben.“ Als Grund kommt für ihn nur der Lobbyismus des Ökosystems um Ethereum in Frage.

Neben dem Handel mit Token werden, selbstverständlich, auch die Earn-Programme von Binance beklagt, etwa das Leihen und Verleihen oder Staking, sowie die ICO, mit der Binance den BNB-Coin herausgegeben hat.

Aber warum kann die SEC diesen Kampf hier überhaupt führen? Schießlich ist Binance nicht in den USA angemeldet.

Die eigenen Kontrollen unterwandern

Warum sollten die Regeln der SEC für Binance gelten? Diese Frage nimmt den größten Teil der Klageschrift ein.

Im Kern lautet der Vorwurf: „Während Zhao und Binance öffentlich behauptet haben, dass US-Kunden nicht auf Binance.com zugelassen werden, haben Zhao und Binance in Wirklichkeit ihre eigenen Kontrollen umgangen, um heimlich vermögende US-Kunden weiter handeln zu lassen.“ Die speziell für US-Kunden gegründete und formal unabhängige Plattform Binance.US wurde zudem „heimlich durch Zhao und Binance kontrolliert“.

Diesen Kern untermauert die Klageschrift mit einer ermüdenden Fülle an Details: Aussagen und Anweisungen von Zhao, vom Chief Compliance Officer und anderen, ein Geflecht mit Briefkastenfirmen und verschleierten Tochterunternehmen, die den Anschein von Unabhängigkeit erwecken sollten. Ein Beispiel:

„Binance implementierte den Tai Chi Plan. Sie gründeten BAM Trading und die Binance.US-Plattform, und führten Regeln und Kontrollen ein, die den Eindruck erweckten, Binance.com blockierte Kunden aus den USA. Währenddessen unterminierten sie selbst diese Kontrollen.“ Ab Juni 2019 waren US-Kunden laut den AGB nicht mehr zum Handel zugelassen, und Binance kündigte an, Maßnahmen einzurichten, die US-Kunden blockierten. Doch dies wurde absichtlich niemals so gehandhabt.

Es dürfte zu diesem Vorwurf nicht viel zu diskutieren geben. Binance gab vor, US-Kunden zu blockieren, wollte sie aber – so Changpeng Zhao im O-Ton – nicht verlieren. Daher fühlt sich die SEC natürlich angesprochen.

Die SEC reguliert für eine Welt, die es nicht mehr gibt

Binance hätte, klagt die Aufsicht, Lizenzen anmelden sollen für

  • den Betrieb einer Börse,
  • die Tätigkeit als Broker
  • sowie als Clearing-Dienstleister.

Was die SEC verschweigt, ist, dass es unmöglich gewesen wäre, dass Binance diese Lizenzen erhalten hätte. Ein kleiner Auszug aus der Klageschrift illustriert, wie veraltet die Maßstäbe sind, durch die die SEC Kryptounternehmen beurteilt:

„Im US-Wertpapiermarkt werden die oben beschriebenen Funktionen typischerweise durch separate juristische Personen ausgeführt, die unabhängig voneinander registriert sind und reguliert werden. Die Trennung dieser Kernfunktionen soll die Interessenskonflikte zwischen den Wertpapier-Intermediären und den Investoren minimieren.“ In der idealen Welt der SEC „interagieren Investoren nicht direkt mit Börsen oder Clearing-Häusern, sondern sind stattdessen Kunden von Brokern, die auf ihre Anweisung Transaktionen tätigen.“ Nur Broker dürfen „Mitglieder nationaler Wertpapierbörsen sein.“

In einer Welt der Aktien aus Papier und unzuverlässigen Transaktionsdatenbanken mag eine solche Arbeitsteilung Sinn ergeben haben. In der Welt der Kryptowährungen bleibt von ihr aber kaum mehr als der Zwang, Mittelsmänner zwischen Börse und Kunden zu setzen, die keinen Nutzen erbringen, aber Reibungen einführen und Gebühren abgreifen.

Diese Rücksichtslosigkeit gegenüber den Interessen der Verbraucher im Namen des Verbraucherschutzes manifestiert sich auch, wenn die SEC die Earn-Programme von Binance anklagt. Diese verschafften den Kunden über Jahre hin risikolose Zinsen, wie sie Sparbücher bieten sollten, aber nicht mehr bieten. Kein Kunde hat bei Binance Geld – bzw. Kryptotoken – verloren.

Binance betreibt Washtrading

Dennoch gibt es einige schockierende Absätze, die zeigen, wie sehr Binance seine regulatorische Freiheit auch gegen die Kunden ausgenutzt hat.

Die Plattform Binance.US wurde von BAM Trading betrieben. Neben dieser Firma gründete Binance die beiden Market Maker Sigma Chain und Merit Peak, die auf dem US-Ableger von Binance für Handelsvolumen sorgen sollten. Formal waren alle Firmen unabhängig, in Wirklichkeit jedoch Sockenpuppen von Binance.

Der BAM CEO offenbarte der SEC unter Eid seine Bedenken: Die beiden Market Maker waren für einen so hohen Anteil des Volumens verantwortlich, dass ohne sie nicht mehr alle Kunden-Order ausgeführt werden könnten. Problematisch war wohl vor allem Sigma Chain. Die Firma unterhielt Dutzende von Accounts, durch die sie mit sich selbst und mit Accounts im Besitz von Zhao oder anderen Managern von Binance handelte. An manchen Tagen bestand das Handelsvolumen einzelner Krypto-Assets zu 99 Prozent aus diesem Washtrading; Daten von April 2022 zeigen, dass je nach Tag zwischen einem und 32,56 Prozent des Handelsvolumens gefälscht waren.

Damit bestätigen die SEC-Ermittlungen einen Vorwurf, der in der Szene schon lange im Raum steht: Binance betreibt Washtrading. Das ist für Börsen hochlukrativ, da Shitcoins oft hohe „Einrichtungsgebühren“ hinlegen, um auf volumenstarken Börsen zugelassen zu werden. Die Opfer dabei sind arglose Kunden, die in Coins investieren, deren Wert auf Dauer nur sinken kann.

Eine hochprofitable Klage

Die Klage könnte, wie erwähnt, richtungsweisend sein. Sie könnte darüber entscheiden, welche Kryptocoins in den USA handelbar sind, und welche Auflagen Kryptobörsen erfüllen müssen.

Für die SEC könnte die Klage zudem hochprofitabel sein. Sie nennt zwar keine direkten Summen, beruft sich an einer Stelle aber auf Gebühreneinnahmen von 12,6 Milliarden Dollar, die Binance seit der Gründung auch durch US-Kunden erwirtschaftet hat. Diese Summe könnte als Maßstab dienen, um adäquate Vergleichs- oder Schadenersatzzahlungen auszuhandeln. Wäre die SEC ein Unternehmen, sollte man in sie investieren.

Weniger glücklich sind die Besitzer der BNB-Token. Binance hat diese, beklagt die SEC, mit einer „sogenannten ICO“ 2017 herausgegeben und damit – natürlich illegalerweise – 15 Millionen Dollar eingenommen. Die Anleger – darunter US-Bürger – haben die Token zu einem Preis von 0,15 Dollar gekauft. Im Mai 2023 wurde ein BNB für 314,70 Dollar gehandelt. Das ist etwa 2.500 Mal soviel.

Die SEC möchte solche lukrativen Investments in Zukunft unterbinden. Einen Teilerfolg hat sie schon mal erreicht: Die BNB-Token sind nach Bekanntwerden der Klage um rund 10 Prozent gefallen, von 307 auf 275 Dollar.

Dass der Einbruch vergleichsweise mild ausfällt, zeigt vermutlich, dass der Markt darauf vertraut, dass Binance die Klage überstehen wird.

Binance bläst zum Kampf

Die Börse selbst gibt sich erwartungsgemäß kämpferisch.

In einem Statement drückt sie ihre „Enttäuschung“ über die Klage aus. Sie betont, man habe versucht, aktiv mit der SEC zusammenzuarbeiten. Dass die Aufsicht nun einen konstruktiven Prozess abbricht und stattdessen klagt, sei „niederschmetternd“. Dennoch werde man sich „energisch verteidigen“.

Danach bläst Binance zum Kampf, wohlwissend, dass die Börse das schwerste Schlachtschiff in einem juristischen Krieg ist, den das Ökosystem führen muss. Die „Weigerung“ der SEC, „produktiv zusammenzuarbeiten“, sei lediglich „ein weiteres Beispiel der irregeleiteten und absichtsvollen Weigerung, die dringend notwendige Klarheit zu schaffen, welche die Branche erstrebt.“

Die SEC habe – wie schon bei anderen Klagen gegen Krypto-Projekte – sich entschieden, „mit den stumpfen Waffen von Vollstreckung und Klage zu regulieren anstatt durch wohlüberlegte, ausgewogene Ansätze, wie sie eine dynamische und komplexe Technologie benötigen.“ Damit untergrabe die SEC „Amerikas Rolle als ein globales Zentrum für finanzielle Innovation und Führung.“

Es ist nicht zu überlesen, dass Binance mit dieser entschiedenen – teilweise sogar aggressiven – Reaktion darauf abzielt, die Branche gegen die SEC zu vereinigen. Dass die SEC fast gleichzeitig eine Klage gegen Coinbase lanciert, dürfte hierfür wie vom Himmel geschickt kommen. Es wird spannend werden!

Über Christoph Bergmann (2801 Artikel)
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2 Kommentare zu US-Aufsicht SEC verklagt größte Kryptobörse Binance

  1. Heute das Gleiche für Coinbase – reichlich spät, – Coinbase ist seit 2 Jahren Aktiengesellschaft. Jetzt fehlt noch die Klage gegen Kraken.

  2. Robinhood sind die ersten, welche Solana, ada etc. Nicht mehr anbieten. Bitcoiner sind erstmal fein raus. Die Rolle von zentrale Börsen (cex) ist weiter angekratzt.

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