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Das Unvermeidbare erträglich machen

Lucas Betschart. Bildrechte bei Lucas Betschart, für diesen Artikel zur Verfügung gestellt.

Lucas Betschart und sein Unternehmen 21 Analytics helfen anderen Krypto-Firmen, die Travel Rule umzusetzen. Nach 3,5 Jahren der umstrittenen Vorschrift in der Schweiz zieht der Schweizer oder Schwyzer eine überraschende Bilanz.

Als wir miteinander reden, ist Lucas Betschart gerade in Belgrad, wo er sich mit seinem 9-köpfigen Team trifft. Vier Mann seiner Firma 21 Analytics leben in der Schweiz, der Rest um die Welt verstreut, was ein ziemlich typischer Zustand unter Kryptounternehmen ist.

Anders als viele andere Kryptounternehmen wächst 21 Analytics auch im Bärenmarkt rasch. Es verkauft keine Coins oder Finanzprodukte, sondern eine Software, die andere Kryptounternehmen unabhängig von der Marktlage gut gebrauchen können. Das Unternehmen ist, ob man es will oder nicht, wichtig dafür, wie die Zukunft von Bitcoin und anderen Kryptowährungen weitergeht.

Bitcoinern in Zürich ist Lucas ein Begriff. Er ist schon so lange da und organisiert seit vielen Jahren das Züricher Bitcoin-Meetup, ein erlesenes Treffen der Szene, das eher ewigwährende Konferenz als Stammtisch ist „Wir fliegen oft Leute ein, und im Lauf der Zeit war das Who is Who von Bitcoin bei uns: Peter Wuille, Andreas Antonopoulos, Christian Decker, Eric Voskuil und viele mehr.“ Lucas ist stolz auf sein Meetup, und er ist Bitcoiner mit jeder Ader.

Und doch dürften viele Bitcoiner das, woran er derzeit arbeitet, mit viel Misstrauen und Missgunst ansehen. „Die Bitcoin-Community mag das überhaupt nicht,“ gibt Lucas zu, „und ich verstehe das. Ich teile ja ihre Überzeugungen. Aber das, was kommen wird, ist eben unvermeidbar.“

Ein offener Standard für eine kontroverse Regel

Mit dem, was unvermeidbar kommen wird, meint Lucas die Travel Rule, jene monströse Regulierung von Bitcoin-Transaktionen auf Geheiß der Financial Action Task Force (FATF). Diese gilt in der Schweiz seit 2019 und wurde in der EU mit der TFR-Verordnung kürzlich ebenfalls beschlossen. Die Schweiz, und dort vor allem das Unternehmen von Lucas, werden so zum Ausblick auf das, was uns im Rest Europas über kurz oder lang ebenfalls blühen wird.

Die Travel Rule verlangt, dass jeder elektronischen Transaktion verifizierte Informationen über Namen und Adresse von Sender und Empfänger beiliegen. So ist das bei Banküberweisungen schon lange, und so soll es nach der transnationalen FATF auch bald bei Krypto-Transaktionen sein.

Darstellung der Travel Rule. Bildrechte bei 21 Analytics, für diesen Artikel zur Verfügung gestellt.

„In der Schweiz trat die Travel Rule schon 2019 in Kraft. Die FINMA, die hier Krypto-Banken wie Sygnum und SEBA reguliert, verlangte es direkt, aber auch der VQF, ein Verband der Selbstregulierung, hat sie schon lange eingeführt. Spätestens seit 2020 gilt die Travel Rule für alle Schweizer Krypto-Unternehmen.“ Die Schweiz, eigentlich bekannt für ihre lockere Finanzregulierung, stürmte bei der Travel Rule so weit voran, dass der Rest der Welt um Jahre hinterherhinkt. Lucas erklärt dies unter anderem damit, dass die Schweiz um ihren Ruf als Finanzplatz besorgt ist und daher gerne als Musterschüler vorangeht.

Lucas und seine Firma entwickeln eine Software, welche den Schweizer Firmen hilft, sich mit geringstmöglichem Schaden an die Travel Rule anzupassen. „Die Schweizer Krypto-Unternehmen haben mit TRP, dem Travel Rule Protocol, ein Modell entwickelt, um die Travel Rule umzusetzen. Wir entwickeln eine Software, die dieses Protokoll umsetzt.“

Die TFR-Verordnung der EU. Bildrechte bei 21 Analytics, für diesen Beitrag zur Verfügung gestelllt.

TRP ist ein offener Standard. Im Unterschied zu anderen Modellen, etwa TRUST von Coinbase, gibt es keine zentralen Parteien, die bestimmen, wer mitmachen darf und wer nicht. „Es wäre besser, für die User, die Unternehmen und Bitcoin, wenn man einen offenen Standard hat. Daher möchten wir das pushen.” Bei TRP werden die privaten Userdaten bilateral und verschlüsselt versendet, also nur von Börse zu Börse, so dass keine dritte Partei Einsicht hat.

Aber kann man eine schlechte Regel perfekt umsetzen?

Die überraschende Folge der Travel Rule

„An sich ist die Umsetzung der Travel Rule einfach, wenn die User nicht an die eigenen Wallets senden, sondern an andere Treuhänder – vorausgesetzt, diese setzen das Protokoll auch um.”

Aus diesem Grund wird oft befürchtet, dass die Travel Rule private Wallets diskriminiert. Denn in einer Regulierung, die für ein Geldsystem der Intermediäre geschrieben wurde, sind Wallets, die nur in der Hand der User liegen, ein Störfaktor. Sobald Bitcoins und andere Kryptowährungen aus der Schleife der Treuhänder herausfinden, bricht die lückenlose Dokumentation ab. Daher finden sich etwa in den Gesetzen der EU Abschnitte, die private Wallets diskriminieren.

In der Schweiz geschah interessanterweise genau das Gegenteil. „Rund 90 Prozent der Transaktionen Schweizer Unternehmen gehen an die Top-20-Börsen weltweit. Diese haben zum größten Teil gar keine Travel Rule eingeführt, weil sie in Regulierungsoasen wie den Seychellen, der Isle of Men aber auch den USA sitzen.“

Natürlich: Wenn man Coins im Wert einer Million Franken versende oder empfange, hole der Schweizer Dienstleister per Mail Daten von der anderen Börse. Aber bei 100 oder 500 Franken? Das manuelle Modell skaliert nicht.

Daher machen die meisten Schweizer Anbieter etwas, was die Autoren der Travel Rule vermutlich nicht so gewollt haben: Sie untersagen Auszahlungen an die meisten anderen Treuhänder. Wenn man von einem Schweizer Broker, etwa Relai, Pocket oder Bittr, Kryptowährungen an große Börsen auszahlen möchte, muss man den Umweg über die eigene Wallet nehmen. Das Schweizer Modell der Travel Rule diskriminiert nicht private Wallet – es fördert sie!

Der erste Shitstorm

„Die große Stärke unserer Umsetzung der Travel Rule ist,“ erzählt Lucas, „dass wir auch private Wallets integriert haben.“ Dazu hat 21 Analytics ein Protokoll entwickelt, AOPP, mit dem ein Kunde beweisen kann, dass eine Wallet ihm gehört. „Dafür gibt es mehrere Wege. Ideal ist eine automatisierte Signatur, das beeinträchtigt die Usererfahrung am wenigsten. Aber weil nicht alle Wallets das können, arbeiten wir auch mit Screenshots oder Onchain-Transaktionen.”

Nicht alle in der Szene finden das gut. Wallets – oder Adressen – mit persönlichen Identitäten zu verknüpfen, könnte bei einer Blockchain wie Bitcoin, auf der alle Transaktionen nachvollziehbar sind, gefährlich werden. Daher lief die Szene Sturm, als sich die Hardware-Wallet Trezor im vergangenen Jahr dafür entschied, das Protokoll von Lucas‘ Unternehmen zu implementieren, woraufhin Trezor die Integration wieder zurückzog. „Das ist für uns und viele User weiterhin ein Problem, weil es schwierig ist, die Coins von Börsen abzuziehen. Aber unsere Kommunikation war damals naiv.“

Der Protokoll-Krieg um die Travel Rule ist bereits in Gange. Verschiedene Lösungen konkurrieren miteinander. Doch die Lösung, die beim Markt am besten ankommt, ist es, das Gegenteil zu machen wie die Schweiz: die Einführung der Travel Rule möglichst lange zu verzögern. „Für unsere Kunden wäre es am besten, wenn alle großen Börsen auch TRP einführen. Aber solange sie noch gar keine Travel Rule haben, legt sich die Schweizer Branche selbst Steinen in den Weg. Ohne Travel Rule ist die User-Experience eben besser, daher ist sie ein Wettbewerbsnachteil.“

Wenn im Lauf der kommenden 18 Monate die Travel Rule für die EU-Unternehmen unvermeidbar wird, könnte sich das Blatt ändern. Alle Unternehmen werden eine Software brauchen, die die unbeliebte Regel umsetzt, und TRP ist ein guter Kandidat, da es so wenig Abhängigkeiten wie möglich einführt. Börsen, die keine Travel Rule umgesetzt haben, könnten sich plötzlich im Nachteil wieder finden anstatt wie bisher im Vorteil.

Die erstaunliche Lehre, die man nach 3,5 Jahren Trave -Rule ziehen kann, wird für Lucas aber schon jetzt sichtbar: „Die Travel Rule führt zu mehr Self-Hosted Wallets. Das ist viel effizienter als bei Börsen. Man kann von einer eigenen Wallet die Coins zu jedem Dienstleister auf der Welt senden, und von jedem Treuhänder auf jede eigene Wallet. Aber der Weg von Dienstleister zu Dienstleister ist nur frei, wenn beide ein kompatibles Protokoll eingeführt haben.“

Das ist also die Lehre: Auch Regulierung, die auf dem Papier so monströs und freiheitsfeindlich ist wie die Travel Rule, kann in der Praxis versehentlich die Freiheit der User befördern.

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5 Kommentare zu Das Unvermeidbare erträglich machen

  1. hm.. und wieso genau werden private Wallets jetzt nicht diskriminiert? Der Grund weshalb der Transfer zu Börsen ohne TR nicht erlaubt wird greift doch genauso auf private Wallets, sie halten sich nicht an die Travel Rule. Ich sehe hier eher die Bestätigung, dass es nachdem die TR überall gilt, definitiv keine regulierte Börse mehr erlauben wird etwas auf private Wallets zu schicken/was zu empfangen.

    Warum reicht es nicht zb. Personalausweisnummer zu übertragen, bzw. irgendwas womit nur eine Polizeibehörde die Person ermitteln kann, aber ein Krimineller nicht sofort deine Adresse zusätzlichen zu deinen gesamten Finanzdaten hat .. Krypto wird durch diese Verknüpfung von Person+Adresse+Finanzdaten sowas von extrem gefährlich, das müsste eigentlich illegal sein.

    • Die Personalausweisnummer ist leider schon etwas, das ohne viel Aufwand auch in kriminellen Datenbanken gesammelt werden kann. Überall wo man den Personalausweis vorzeigen muss, kann die Nummer zusammen mit der Adresse gesammelt werden werden. Hacks legaler Datanbanken tun ihr übriges.

      Prinzipiell würde man als Bitcoin Whale, den Kriminellen dieser Welt gegenüber, sicher lieber gänzlich unerkannt bleiben.

  2. Okaf Sgholz // 20. Juni 2023 um 9:51 // Antworten

    Mich würde ja interessieren welche Adresse man als Digitale Nomade angeben soll wenn man gar keinen Wohnsitz mehr hat 🤡

  3. Paul Janowitz // 21. Juni 2023 um 12:16 // Antworten

    Ich verifiziere gerne meine Monero Adresse(n), eine steht sogar in meinem Twitter Profil und Cake Wallet ermöglicht es, Twitter User direkt zu tippen. Das tolle ist, dass keine Adresse je auf der Blockchain landen wird 😉

    • Paul Janowitz // 27. Juni 2023 um 17:46 // Antworten

      Kleiner Nachtrag:
      Ich komme gerade von der MoneroKon in Prag mit ca. 250 Teilnehmern und es herrschte breiter Konsens zu “F*** Regulation”, auch wenn es ein Panel gab, welches sich damit beschäftigt hat. Monero hat ja seit Jahren eine Policy Working Group, die in der Anhörungsperiode aller neuen Regulierungen in relevanten Jurisdiktionen auch fast immer etwas sinnvolles beiträgt, hier kann man die jeweiligen Reaktionen einsehen: https://moneropolicy.org/
      Leider bin ich mir nicht sicher, ob der Kommentarprozess überhaupt irgendeinen Einfluss auf die finalen Beschlüsse hat und ob sich das irgendjemand durchliest…

      Die Aufnahme des Podiums ist leider noch nicht online, bislang “nur” die Vorträge vom Freitag, daher leider kein Link dazu.

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