Kryptoregion Europa: Eine Sache der Vermögenden

Europäer senden im Jahr rund eine Billion Dollar in Kryptowährungen an zentrale und dezentrale Börsen. Ein Land ist dabei am wichtigsten – und es ist nicht Deutschland.
Europa ist der größte Markt für Kryptowährungen. Allerdings nur, wenn man Osteuropa dazu zählt, einschließlich Russland. Zentral-, Nord- und Westeuropa allein landet auf dem dritten Rang, nach Nordamerika und Zentral- und Südasien (einschließlich Ozeanien), während die EU-Region allein noch ein Stück schlechter abschneiden würde.
Dies geht aus dem neuen „Geography of Cryptocurrency“ Report von Chainalysis hervor. In diesem bewertet der Blockchain-Analyst die „Crypto Adoption“ in 155 Ländern von Mitte 2022 bis Mitte 2023. Der Index berücksichtigt „hunderte Millionen Transaktionen und 13 Milliarden Webseitenaufrufe“, um die Krypto-Aktivität zu messen. Als wesentliche Metrik nutzt er dabei die Werte, die aus der Region an zentralisierte, dezentrale und P2P-Börsen gesendet werden.
Unter den Top-20 kommt dabei kaum ein europäisches Land vor. An den ersten Stellen stehen Indien, Nigeria und die Vereinigten Staaten. Auf dem fünften Platz landet mit der Ukraine das erste europäische Land, auf dem 13. Russland und auf dem 14. Großbritannien. Ein EU-Land sucht man unter den Top-20 vergebens.

Der Anteil von Zentral-, Nord- und Westeuropa an den globalen Krypto-Strömen. Alle Grafiken aus dem Bericht von Chainalysis.
Nichtsdestoweniger ist Zentral-, Nord- und Westeuropa mit fast 18 Prozent des weltweit empfangenen Volumens nach Nordamerika (mit 24,4 Prozent) und Zentral- und Südasien (mit 19,3 Prozent) die drittstärkste Kryptoregion der Welt. Zählt man Osteuropa hinzu, liegt Gesamteuropa mit 26,5 Prozent klar an der Spitze. Wir konzentrieren uns hier aber auf Europa ohne Osteuropa.
Insgesamt empfing die Region rund eine Billion Dollar in Krypto. Rund ein Viertel davon entfällt auf Großbritannien, gefolgt von Deutschland, Spanien und Frankreich mit gut 100 Milliarden. Relevante Beträge fließen noch in die Niederlande, nach Italien und die Schweiz, der Rest verteilt sich auf viele kleinere Länder.
Wie in Nordamerika ist der Anteil der „großen institutionellen Transaktionen“ mit mehr als 10 Millionen Dollar hier mit fast 50 Prozent bemerkenswert groß, während die “Verbaucher-Transaktionen“ (unter 10.000 Dollar) einen kaum nennenswerten Anteil ausmachen.
Kryptowährungen sind in Europa 2023 also mehr denn je eine Sache der Vermögenden und der Institutionen. Dieser Trend ist weltweit zu beobachten, fällt in Europa aber etwas stärker aus als in den meisten anderen Regionen.
Dezentrale Finanzen (DeFi), wie dezentrale Börsen oder Kreditplattformen, sind in Europa die beliebteste Kategorie. Sie nehmen fast 55 Prozent des Volumens auf. DeFi spiele, meint Chainalysis, „eine Schlüsselrolle in der Krypto-Adoption der Region während der letzten Jahre“. Zwar werde die Aktivität von den Verbrauchern (Retail) getrieben, doch „die Institutionen der Region öffnen sich für DeFi.“
In den meisten Ländern Europas gingen die Krypto-Ströme zurück, teilweise um mehr als 50 Prozent. Tendenziell gestiegen sind sie jedoch in Slowenien, Spanien, Frankreich und Großbritannien, wobei das Wachstum vor allem von dezentralen Börsen getrieben wird.
Danach wirft Chainalysis einen etwas genaueren Blick auf Großbritannien. Mit 250 Milliarden Dollarn empfangener Krypto-Werte steht Großbritannien weit vor allem anderen europäischen Ländern und hinter Indien und den Vereinigten Staaten global an dritter Stelle. Diese starke Aktivität, stellt Chainalysis fest, wurde nicht durch die Regulierung eingeschränkt. Im Juni 2023 trat ein neues Gesetz in Kraft, das „Crypto Assets“ der bestehenden Finanz-Regulierung unterwirft und die Regierung ermächtigt, spezielle Regeln für Stablecoins zu erlassen.
Dies hatte eine Wirkung, die sich in den Charts ablesen lässt: Das eingehende Volumen von Stablecoins auf zentralisierten Börsen sank, während das von Bitcoin und Ether stieg. Allerdings hatten Stablecoins zuvor einen sagenhaften Anstieg erlebt. Noch im Juli 2022 machten sie knapp 50 Prozent des Volumens aus; bis Januar 2023 war der Anteil auf 80 Prozent gestiegen, und auch im Juni 2023 lag er bei mehr als 60 Prozent. Die Dominanz der Stablecoins bleibt trotz der Regulierung unangefochten.
In der EU-Region ist Deutschland zwar weiterhin der wichtigste Kryptomarkt, doch der Abstand zu den kleineren Volkswirtschaften Frankreich und Spanien ist stark geschrumpft. Gemessen an der Bevölkerungszahl und am BIP dürfte Deutschland weit abgeschlagen sein, während vor allem Spanien auftrumpft.
Land | Einwohner | BIP | Krypto |
Deutschland | 84,5 Mio. | 4.100 Mrd. USD | 116 Mrd. USD |
Frankreich | 68 Mio | 3.000 Mrd. USD | 110 Mrd. USD |
Spanien | 50 | 1.400 Mrd. USD | 105 Mrd. USD |
Die EU-Regulierung MiCA, erklärt Chainalysis, wird Mitte 2024 in Kraft treten und die Lizenzierung der Branche vereinheitlichen. Doch bereits heute habe MiCA eine günstige Umgebung für Krypto-Innovationen geschaffen. Der Analyst erklärt dies vor allem am Beispiel Frankreichs, wo Paris zum Krypto-Hub wird und mit der Société Générale eine Großbank eine Krypto-Lizenz erhalten hat. Viele internationale Unternehmen, etwa Binance, Crypto.com und Circle, haben ihr europäisches Hauptquartier in Paris aufgeschlagen.
Mehrere große, klassische Finanzinstitutionen in Frankreich wenden sich mittlerweile DeFi zu. Wie im Rest Europas gilt die Faustregel: Je größer die Transaktion, desto häufiger fließt sie an DeFi anstatt an zentralisierte Börsen. Gerade institutionelle Akteure scheinen Smart Contracts viel stärker zu vertrauen als zentralisierten Börsen, während die Verbraucher weiterhin zentralisierte Börsen bevorzugen, vermutlich, weil sie einfacher sind.
Dieser Trend ist nicht neu, aber doch etwas deprimierend. Denn DeFi erlaubt es ja gerade, die Macht der Institutionen zu brechen, indem es sämtliche Mauern schleift, die zwischen dem Enduser und Finanzdienstleistungen stehen. DeFi macht es jedermann möglich, ohne Mittelsmann Geld zu wechseln, zu leihen, zu verleihen, mit verschiedenen Derivaten zu operieren und zunehmend auch traditionelle Finanzprodukte wie Staatsanleihen zu genießen. Doch die meisten Enduser bleiben offenbar freiwillig bei ihren Mittelsmännern. Die Dezentralisierung des Finanzwesens beginnt damit nicht von unten, sondern von oben.
Bleiben die meisten Enduser wirklich freiwillig bei ihren Mittelsmännern?
Der ‘Enduser’, ein normaler Bürger mit normalen Ansprüchen an das Leben, braucht nun mal FIATgeld um damit Rechnungen, Lebensmittel, Mieten etc. zu bezahlen oder vielleicht sogar andere assets wie Aktien zu kaufen.
Wie kann er das mit Crypto oder DeFi ohne letztendlich doch über eine zentrale Börse als finaler Schnittstelle das Fiat auf Konto oder Karte zu bekommen?
Da besteht eine Notwendigkeit. Nicht Freiwilligkeit. Oder?
Eine Besonderheit in Frankreich ist, dass Crypto-Crypto (auch Stablecoin)-Transaktionen steuerfrei sind, versteuert wird erst beim Umtausch in Fiat. Die Finanzwelt sieht mit dieser Perspektive anders aus und bevorzugt DeFi.