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Tether: Ein fliehender Schatz

Liegt irgendwo hier der Dollar-Schatz hinter den Tether? Dem Vernehmen nach bankt das Dollar-Token auf den Bahamas. Bild von Rüdiger Stehn via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Der Tether-Krimi geht weiter: Schaukelt Bitfinex einen 2-Milliarden-Dollar-Schatz von Bank zu Bank, wie auf der Flucht – oder existiert das Geld gar nicht? Während die Börse ein neues Bankkonto findet, das aber geheim bleiben soll, stabilisiert sich der Kurs der Tether, und der bekannteste Bitfinex-Kritiker gibt ein langes Interview.

Die Tether-Story ist derzeit der spannendste Krimi im Kryptoraum. Es geht einfach um so viel, und die Situation ist so nebulös, dass man nur spekulieren kann: Geschieht hier gerade einer der größten Betrugsfälle aller Zeiten? Handelt es sich um ein geniales Geschäftsmodell, das mit normalen Kategorien gar nicht mehr zu greifen ist? Erleben wir, wie die USA und ihre Banken die Hoheit über den Dollar verlieren?

Tether, Bitfinex, Dollar und Banken

Tether sind Dollar-Token auf den Blockchains von Bitcoin und Ethereum, die von der Börse Bitfinex herausgegeben werden. Die mittlerweile mehr als zwei Milliarden Tether wurden im Lauf des letzten Jahres zur wichtigsten Währung auf den Kryptobörsen; sie haben die normalen, per Banküberweisung eingezahlten Dollar mit himmelweitem Abstand als Gegenwährung für den Fiat-Krypto-Handel abgelöst. Seit langem wird darüber gemutmaßt, gemunkelt und spekuliert, dass die Tether gar nicht durch echte Dollar gedeckt sind, sondern “aus nichts als Luft” erzeugt werden.

Am vergangenen Wochenende haben sich die Preise von Tether vom Dollar entkoppelt, was all jene, die hinter den Dollar-Token Betrug wittern, als Bestätigung verstanden haben. Allerdings haben sich die Preise im Lauf der Woche bei 97 bis 98 Cent stabilisiert. Man könnte dies so verstehen, dass die Märkte Tether – zumindest derzeit – noch trauen, aber sich das damit verbundene Risiko mit einem kleinen Rabatt bezahlen lassen.

Die Börse Bitfinex, deren Manager auch Tether leiten, handelt die Dollar-Token konsequent in Parität zu echten Dollar. Dabei aber scheinen die Dollar auf Bitfinex selbst eine unter Kryptobörsen nicht eben neue Krankheit zu haben: Sie sind nicht wirklich liquide. Auszahlungen der Dollar auf ein Bankkonto dauern mitunter ewig und wurden in den letzten Wochen sogar ausgesetzt. Man kennt dies von Mt. Gox, der ehemals größten Bitcoin-Börse der Welt; und so wie in den letzten Tagen von Mt. Gox bezahlen Trader auf BitFinex ein Premium auf Bitcoins, weil diese die einfachste Möglichkeit sind, Kapital von der Börse abzuziehen.

BitFinex leidet seit mehr als einem Jahr unter den Restriktionen der Banken. Die Dollar-Ströme der Weltwirtschaft werden von einer kleinen Anzahl an US-Banken gebündelt, und diese sind seit langem skeptisch, wenn ihre Partnerbanken mit Bitcoin-Börsen arbeiten. Dies macht Dollar-Überweisungen immer zu einer Schwachstelle von Bitcoin-Börsen, vor allem wenn sich diese wie BitFinex weigert, die andernorts zur Norm gehörenden Anti-Geldwäsche-Gesetze einzuführen. Seitdem wechselt BitFinex alle paar Monate die Bank, was dann solange hält, bis es öffentlich wird, und dann die Partnerbank die Beziehung mit BitFinex beendet, um zu verhindern, dass sie Ärger mit dem langen Arm der USA bekommt.

Geheimes Banking auf den Bahamas und in Hongkong

Etwa das ist das Szenario. Mit Tether hängt nun ein sehr großer Teil des Handelsvolumens vieler Börsen ausgerechnet an der Schwachstelle einer Börse – an einer Bank. Um den Betrieb aufrecht zu erhalten, muss Bitfinex immer wieder eine Bank finden, die die Dollar-Deckung der Tether verwahrt und gegebenenfalls auszahlt.

Dementsprechend aufregend sind die Bankverbindungen von Bitfinex. Wie The Block berichtet, hat die Börse vor kurzem ein privates Bankkonto bei der Großbank HSBC benutzt. Nachdem dieses geschlossen wurde, musste Bitfinex Dollar-Einzahlungen aussetzen. Nun hat die Börse angeblich einen Account bei der chinesischen Bank of Communications über ein privates Konto bei der PROSPERITY REVENUE MERCHANDISING LIMITED.

Bitfinex kündigte dies als ein “neues, verbessertes und verstärkt resilientes System für Fiat-Einzahlungen” an. Um es zu nutzen, müssen Kunden um eine Einladung bitten, die erst erteilt wird, wenn der Account geprüft wurde. Danach erst erfährt der Kunde die Bankinformationen für die Einzahlung. Bitfinex ermahnt die Kunden, die Bankinformation vertraulich zu behandeln. Sie öffentlich zu machen “kann nicht nur Ihnen selbst und Bitfinex schaden, sondern dem gesamten Ökosystem der Token.”

Spannender könnte jedoch das Konto sein, auf dem die für Tether verwendeten Dollar-Einlagen liegen. Wie erneut The Block berichtet, benutzt Tether dafür nun die Deltec Bank auf den Bahamas. Es gibt Berichte, dass einige Trader für den außerbörslichen Handel Accounts bei der Deltec Bank eröffnet haben, um die Tether direkt gegen Dollar zu tauschen.

Wenn Tether tatsächlich die zwei Milliarden Dollar auf einem Bankkonto hält, werden diese weiterhin von Bank zu Bank fliehen, um der Aufsicht zu entgehen, die über verschiedene Wege immer versuchen wird, ein solches Geschäft für die Partnerbank möglichst unangenehm zu machen. Dass ein solcher fliehender Schatz am Boden des Krypto-Ökosystems liegt, könnte eine der aufregendsten Storys der Gegenwart sein.

Ein lesenswertes Interview und die Hoffnung auf einen geordneten Rückzug

Andere dagegen glauben nicht, dass die Dollar wirklich existieren. Der bekannteste Kritiker des Gespanns Bitfinex / Tether, der nur unter dem Namen “Bitfinex’ed” auftritt, hat dem Magazin Modern Consensus ein ausführliches, unglaublich spannendes Interview gegeben. Ich selbst teile sehr viele Aussagen von Bitfinex’ed zu Tether, Bitcoin und Blockchain nicht, und es ist offensichtlich, dass seine Vorwürfe oft von einem gewissen Frust getrieben werden, dass seine pessimistischen Prognosen nicht eingetroffen wurden. Dies trübt seine Perspektive auf Bitcoin, Kryptowährungen, Blockchain und am Ende auch Tether.

Dennoch muss man ihm zugestehen, dass er sich seit mehr als einem Jahr intensiv mit der Materie beschäftigt, und jeder, der seiner Begeisterung für Kryptowährungen ein Negativbild entgegenstellen möchte, sollte dieses Interview lesen. Es ist sicherlich nicht gänzlich wahr, aber interessant.

Zugleich gibt es auch Anzeichen, dass der Einfluss von Tether auf dem Rückgang ist. Bitfinex hat etwa ein Viertel der Tether – insgesamt 690 Millionjen Dollar – zurück an die Tether-Schatzkammer geschickt, um sie gegen echte Dollar einzulösen und damit effektik zu vernichten. Dies geschah in mehreren Schritten vom 10. bis zum 19. Oktober und stellt die bisher mit Abstand größte Eliminierung von Tether-Token dar. Ob dabei tatsächlich Dollar von Tether an Bitfinex und womöglich externe Kunden geflossen sind, oder Bitfinex lediglich eine Zahl von der einen Spalte der Bilanz in die andere geschoben hat, um das brüchige Vertrauen in den Tether zu erhalten, ist von außen unmöglich festzustellen.

Die grüne Kurve ist der Preis der Tether, die blaue die Marktlapitalisierung. Diese fällt seit Anfang Oktober rapide, weil Tether vom Markt genommen werden.

Indem sich Tether aber von den Märkten zurückziehen, öffnet sich eine Marktlücke für andere Stablecoins. Anwärter darauf sind unter anderem die “True USD” (TUSD), die USD Coins von Gemini (USDC) oder die DAI Stablecoins (DAI). Allerdings bringen diese zusammen keine 300 Millionen Dollar auf, was im Vergleich zu noch immer zwei Milliarden Tether nicht besonders viel ist. Aber was nicht ist, kann noch werden, und eine schleichende Dezentralisierung der Stablecoins und Ablösung von Tether wäre sicherlich nicht der aufregendste, aber gesündeste Ausgang des Tether-Krimis.

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1 Kommentar zu Tether: Ein fliehender Schatz

  1. Interessanter Artikel. Danke dafür. Zwei Kleinigkeiten sind mir aufgefallen. Es sollte wohl nicht “Prognosen nicht eingetroffen wurden” sondern “Prognosen nicht eingetroffen sind” heißen. Auch “effektik” sollte wohl “effektiv” sein.

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