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Der Markt reagiert sehr präzise auf die SEC-Klagen

Die Preise für Kryptowährungen sind in den letzten Tagen stark gefallen. Alle Coin verzeichnen Verluste – doch die Unterschied sind enorm. Selten kann man aus Preisen ein so differenziertes Urteil des Marktes ablesen.

Vergangene Woche hat die US-Börsenaufsicht SEC definitiv zum Angriff gegen das Krypto-Ökosystem geblasen: Sie klagte die größte Börse der Welt an, Binance, und kurz danach die größte Börse der USA, Coinbase.

In den Charts ist das in aller Deutlichkeit zu sehen. Der Gensler-Knick zerstörte ökosystemweit 70-80 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung und schickte so gut wie jeden Coin auf Talfahrt.

Alles fällt gemeinsam – aber nicht alles fällt gleich. Der Markt preist das, was geschah, überraschend differenziert ein. Und genau das ist es, was das Kursgeschehen der letzten Woche so interessant macht: Weil wir genau wissen, warum die Kurse fallen, bekommen wir einen selten genauen Einblick darin, wie der Markt die neue Wirklichkeit auf die individuellen Kryptowährungen umlegt.

Betrachte wir für etwa die Top-100-Coins nach Coinmarketcap.com, sortiert nach relativem Gewinn und Verlust der letzten sieben Tage. Welche Kryptowährungen haben am wenigsten gelitten?

Ganz oben stehen die Stablecoins. DAI, Tether, USDC, Gemini-Dollar unnd so weiter. Sie halten die Parität zum Dollar und machen keine Verluste. Das ist das beste, was man in diesem Segment bekommen kann. Nach ihnen kann man froh sein, wenn sich die Verluste in Grenzen halten, etwa bei den Token von Bitfinex und Nexo, oder bei Ripple, Bitcoin, Monero und, mit etwas Abstand, Ethereum.

ALLE Kryptowährungen in diesem Ranking fielen stark. Aber die einen fielen eben stärker als die anderen. Zum Beispiel mussten die folgenden Kryptowährungen heftig bluten, durchgehend zwischen 20 und 30 Prozent: Cardano, Solana, Matic, BNB, Cosmos, Chainlink, Avalanche und Fantom – alles alternative Smart-Contract-Blockchains.

Der Markt reagiert so rational, dass es schon beinah gruselig ist. Die Preise verweisen präzise auf die Risiken, die die SEC für einzelne Coins verkörpert: Wie hoch ist die Gefahr, als Security reguliert zu werden, was effektiv einem Handelsverbot in den USA gleichkäme?

Die Kursversion ist diese:

  • Stablecoins reagieren nicht
  • Bitcoin, Ripple und Monero fallen leicht
  • Ethereum fällt etwas stärker
  • Smart-Contract-Coins (Cardano, Solana, Polygon etc.) fallen massiv

Jeder einzelne Punkt darin hat eine Geschichte, die der Markt erkannt und eingepreist hat.

Warum Stablecoins stabil bleiben – mit einer Ausnahme

Bei Stablecoins schweigt der Markt, obwohl die SEC zumindest BUSD, einen mit Binance verbundenen Stablecoin, als Security betrachtet. Das Risiko für Stablecoins existiert offensichtlich: Es gibt einen zentralen Herausgeber, und die SEC ist bereit, diesen zu verklagen.

Dennoch reagieren Stablecoins nicht. Sie dürfen nicht reagieren. Denn wenn sie aufhören, den Dollar abzubilden, sind sie keine Stablecoins mehr. Sobald ein Stablecoin ein Risiko deutlich einpreist, schlittert er in eine existenzielle Gefahr.

Am stärksten rutschten die Gemini-Dollar ab. Sie waren vorübergehend unter 99 Cent. Das könnte daran liegen, dass ihre Herausgeberin, die New Yorker Börse Gemini, eng mit den US-Regulierern zusammenarbeitet, und dass die Marktkapitalisierung mit einer haben Milliarde Dollar zu gering ist, um Druck zu widerstehen. Tether und Circle werden für ihre Stablecoins kämpfen, weil sie sonst nichts haben – Gemini wird sie fallenlassen, wenn es dafür weiterhin Börse bleiben darf.

Warum Bitcoin, Monero und Ripple so wenig fallen

Bitcoin ist nur wenig betroffen. Die SEC behauptet an keiner Stelle, dass Bitcoin eine Security sei. Im Gegenteil: Der SEC-Vorsitzende Gary Gensler erklärt wiederholt, dass er Bitcoin nicht als solches betrachte. Wenn es eine Kryptowährung gibt, von der man sicher sein kann, dass sie auch in Zukunft in den USA handelbar ist, dann ist es Bitcoin. Das Risiko ist effektiv 0.

Aber warum fällt Bitcoin dann überhaupt? Sollte Bitcoin nicht vielmehr steigen, da der Markt Kapital von anderen Coins in Bitcoin zurückschieben wird? Tatsächlich gewinnt Bitcoin Marktanteile – der Bitcoin-Dominance-Index steigt von 45,8 auf 47,7 Prozent – doch der gesamte Markt schrumpft schneller. Bitcoin ist Teil des Ökosystems der Kryptowährungen: der Gold-Standard und Anker. Wenn das Ökosystem verliert, verliert auch Bitcoin.

Auch Monero (XMR) wird von der SEC nicht erwähnt. Der Privacycoin hat (mindestens) so viele Eigenschaften, die einer Security widersprechen, wie Bitcoin. Gensler erwähnt ihn nicht explizit, daher ist das Risiko nicht Null, aber es tendiert dahin. Der große Vorteil von Monero ist aber, dass der Markt ohnehin nicht daran glaubt, dass der anonyme und im Darknet geschätzte Coins für immer legal handelbar bleibt. Sein Wertversprechen ist nicht, dass er legal bleibt — sondern dass er Verboten widersteht.

Anders sieht es bei Ripple aus. Ripple bzw. XRP erfüllt die Voraussetzungen für eine Security relativ gut. Das Risiko, auch als solche behandelt zu werden, ist hier enorm. Aber das ist bereits bekannt, und die SEC führt bereits einen Prozess gegen Ripple, der sich über die Jahre hinzieht und langsam in die Zielgerade einbiegt. Der Markt geht wie bei Monero nicht sicher davon aus, dass XRP in Zukunft in den USA handelbar sein wird. Die Klagen gegen Binance und Coinbase ändert nichts am Status Quo.

Warum Ethereum ein Stückchen weiter fällt

Ethereum fiel etwa zum sechs Prozent und hat damit den Gewinn, den es gegen Bitcoin in den letzten Wochen gemacht hat, wieder zum Teil verspielt.

Aber warum fiel Ethereum stärker als Bitcoin – und warum weniger stark als die meisten anderen Kryptowährungen?

Die Antwort darauf ist etwas komplexer. Auf der einen Seite erwähnt die SEC in einer Aufzählung von „illegalen Securities“ Ethereum nicht, was dafür spricht, dass Gensler nicht länger beabsichtigt, die Kryptowährung unter seine Aufsicht zu zwingen. Bisher war das noch eine offene Frage, mit der Klage gegen Binance scheint die SEC sie zugunsten von Ethereum zu beantworten. ETH ist der der einzige Coin, bei dem sich die Risiken durch die Klage nicht nur nicht erhöhen, sondern sogar mindern.

Allerdings nennt die SEC auch Staking-Programme wie (explizit) von Ethereum ein Security. Das wäre so etwas wie ein Teiltreffern. Vor allem aber könnte Ethereum stark mitleiden, wenn es für US-Börsen juristisch gefährlicher wird, Token zum Handel anzubieten. Ethereum lebt viel stärker als Bitcoin und Monero davon, dass es einen agilen Markt um Token herum gibt. Zentrale Innovationen von Ethereum – ICOs, DeFi, DAOs – sind ohne Token undenkbar. Daher gibt die Währung trotz einer an sich positiven Nachricht nach.

Warum Solana, Cardano, Polygon und so weiter besonders stark leiden müssen

Zuletzt haben wir eine Reihe von Kryptowährungen, die extrem fallen. Solana, Cardano, Fantom, Matic, Avalance, Cosmos, BNB und andere stürzen um 20-30 Prozent ab. Alle diese Coins sind „Ethereum Killer“: Smart-Contract-Blockchains, die beanspruchen, besser zu skalieren als das Original.

Bei BNB ist es nachvollziehbar: Der Coin ist so eng mit Binance verbunden, dass er schon geradezu mit angeklagt wird.

Aber all die anderen Ethereum-Konkurrenten? Warum leiden sie so stark? Der Grund ist, dass sie in den Klageschriften als „illegales Security“ erwähnt werden, zu einem großen Teil sogar in beiden.

In der Klageschrift gegen Binance erklärt die SEC auch sehr ausführlich, warum sie diese Kryptowährungen als Security betrachtet. Die SEC verzichtet auf Ethereum, krallt sich aber Solana, Cardano, Matic und Avalanche um so fester.

Das Risiko hat bereits vorher bestanden, manifestierte sich mit den Klagen aber als enorm groß. Zwar bedeutet dies nicht, dass diese Kryptowährung in Zukunft zwingend als Security reguliert werden. Dies wird in den Klagen ausgemacht, die nun beginnen.

Doch auch bei einem für die Krypto-Ökonomie erfolgreichen Prozess wird die SEC nicht darauf verzichten, einige Token und Kryptowährungen als Security zu regulieren. Möglicherweise werden die Börse die einen Coins fallen lassen, um die anderen zu behalten. In der Art: „Wir handeln weiter mit Solana und Fantom, verzichten aber auf Cardano und Matic.“

Und allein schon diese Aussicht wird es für Börsen, die auch Kunden aus den USA bedienen, sehr unattraktiv machen, solche Coins überhaupt erst zu listen. Wenn es ein explizites oder implizites Regime der Selbstregulierung gibt, haben die alternativen Smart-Contract-Blockchains dort einen schweren Stand. So zeichnet sich ab, dass manche Coins nicht länger Zugriff auf die Liquidität der US-Anleger haben werden.

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5 Kommentare zu Der Markt reagiert sehr präzise auf die SEC-Klagen

  1. Nicht nur in den USA droht den Kryptobörsen Ungemach… Am 8. Mai ist die deutsche Bitcoin Group vom Kauf des Bankhauses von der Heydt zurückgetreten. Es wird damit auch in absehbarer Zeit keinen neuen Expresshandel bei Bitcoin.de mehr geben. Dieser Rücktritt vom Kaufvertrag ist schon einen Monat her, doch Christoph hat dieses allseits interessierende Thema bisher leider noch nicht aufgegriffen – was sich hoffentlich bald ändern wird.

  2. Allerdings nennt die SEC auch Staking-Programme wie (explizit) von Ethereum ein Security.

    Tut sie das? Oder geht es nur um das staking-as-a-service Angebot durch zentrale Börsen (wie Kraken). Ich meine gelesen zu haben, dezentrales staking-as-a-service – wo die Börse selber selber keine Funds hält – ist für die SEC ebenfalls noch in Ordnung.

    Andernfalls würde das sicher Druck aus dem Argument nehmen, POW Coins müssten genau wie Ethereum auf POS umstellen, wenn bei einer solchen Umstellungen, deutliche Nachteile durch die Regulierung entstehen.

    Das hier schreibt Coindesk nach der Entscheidung gegen Kraken:

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