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“Bitcoin ist Covid-Gewinner”

Niall Ferguson (2017), Bild von Central European University via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Einer der berühmtesten Historiker der Gegenwart meint, dass Bitcoin der Gewinner der Covid-Krise ist – und dass die Kryptowährung ein logischer und zu begrüßender Schritt der Evolution des Geldes sei.

Die nächste US-Regierung unter Joe Biden sollte nicht versuchen, so wie China einen “Blockchain-Dollar” zu bilden. Stattdessen sollte sie begreifen, welche Vorteile es habe, Bitcoin in das US-Finanzsystem zu integrieren. Für ein freies Land sei dies der besser Weg.

Diese Forderung war heute im anerkannten Wirtschaftsmagazin Bloomberg zu lesen. Und sie stammt nicht von einem Bitcoin-Fan, der mit Leib und Seele hinter der Krypto-Revolution steht oder einfach nur sein Lieblingsinvestment hochjazzen möchte.

Der Kommentar ist von niemand geringerem als Niall Ferguson. Ferguson ist einer der prominentesten Historiker der Gegenwart, der mit seinen Werken über die Geschichte von Geld und Wirtschaft zahlreiche Auszeichnungen einholte und ein globales Publikum erreichte – auch wenn er längst nicht unumstritten ist.

Ausgangspunkt seines Kommentars ist, dass wir derzeit in einem Zeitalter des Umbruchs sind. „Wir durchleben gerade eine Revolution des Geldes,“ schreibt Ferguson, „die so viele Facetten hat, dass die wenigsten von uns ihren vollen Umfang übersehen können.“ Getrieben werde diese Revolution durch das Internet, und die Pandemie von 2020 habe sie beschleunigt.

Wie alle Umbrüche hat auch dieser Gewinner und Verlierer. Der Dollar gewinnt gegenüber gegen Bloombergs Spot-Index – einem Korb von zehn anderen wichtigen Währungen – immerhin 4 Prozent und gehört damit noch zu den Gewinnern. Gold schneidet mit 15 Prozent gegen den Dollar deutlich besser ab, und Bitcoin schließlich gewinnt um 139 Prozent. Ziemlich eindeutig, wer der wahre Covid-Gewinner ist, oder?

Pandemien als Katalysatoren der Modernisierung

Dieser Aufstieg von Bitcoin habe „viele kluge Menschen überrascht“, meint Ferguson. Als Beispiel nennt er Nouriel Roubini, jenen Ökonomen, der sich mit der Voraussage der US-Immobilienblase einen Namen als „Dr. Doom“ gemacht hat, aber sich in Sachen Bitcoin so zuverlässig durch falsche negative Voraussagen blamiert, dass es schon beinah sprichwörtlich wurde. Nun habe Roubini, erzählt Ferguson, ein wenig umgesteuert, als er sagte, Bitcoin sei „vielleicht teilweise ein Wertspeicher“. Ferguson nennt das scherzhaft „die größte Konversion seit dem heiligen Paulus“.

Neben Roubini entdecken immer mehr berühmte Investoren – etwa Stan Druckenmuller oder Tudor Jones – den Reiz von Bitcoin, und auch Finanzjournalisten wie Izabella Kaminska, die jahrelange Bitcoin-Skeptikerin der Financial Times, „kapitulieren“.

Gut. Wir haben also eine Bestandsaufnahme: Immer mehr Leute beginnen, an Bitcoin zu glauben. Aber warum? Und was hat das mit Covid zu tun?

Ferguson erklärt, dass „man nicht überrascht sein sollte, dass eine Pandemie das Tempo der monetären Evolution anhebt.“ Schon der Schwarze Tod hat im Mittelalter die Monetarisierung der zuvor weitflächig auf dem Tauschhandel basierenden englischen Wirtschaft beschleunigt, und auch in Italien wurde die grauenhafte Pestwelle des 14. Jahrhunderts zum Steigbügelhalter des Aufstiegs der florentinischen Bankiers, aus denen das mächtige Geschlecht der Medicis entsprossen ist.

Ok. Wir haben eine historische Parallele und sind nicht länger überrascht, dass es passiert. Aber wir wissen immer noch nicht, weshalb und was genau.

Die Pandemie, erklärt Ferguson weiter, beschleunige die Digitalisierung der Welt. „Was einmal zehn Jahre gedauert hätte, braucht nun 10 Monate.“ Leute, die es vorher vermieden hätten, Online-Überweisungen ausführen, seien nun dazu gezwungen, weil Banken und der Einzelhandel geschlossen haben.

Darüber hinaus und daraus folgend hat die Pandemie die Problematiken finanzieller Überwachung und finanziellen Betrugs verschärft. Klar – wenn mehr Leute online mit Geld umgehen, wachsen die damit einhergehenden Risiken.

Ferguson meint zwar, dass beides gut für Bitcoin sei. Allerdings fungieren die beiden Punkte in seinem Artikel eher als roter Hering. Denn das, was derzeit passiere, sei, „dass Bitcoin graduell nicht als Zahlungsmittel anerkannt wird, sondern als Wertspeicher.“ Es geht nicht um Online-Zahlungen, nicht um Überwachung oder Betrug – sondern darum, wie man Werte erhält und erhöht. Es geht ums Investment.

Nicht nur die Reichen und sehr Reichen speichern einen Teil ihrer Werte in Bitcoin, sondern auch immer mehr Unternehmen, wie MicroStrategy, Square und andere. Wir haben darüber berichtet.

Dieser Prozess, meint Ferguson, könne noch sehr viel weiter gehen. Er zitiert den argentinisch-US-amerikanischen Unternehmer Wence Casares, der sagt, er sehe eine 50-prozentige Chance, dass Bitcoin im Lauf der nächsten 5-10 Jahre eine Million Dollar je Token erreiche, wenn es als universeller und ultimativer Wertspeicher angenommen wird. Wenn es, sagen wir, vollkommen normal sein wird, einige Prozent seines Einkommens automatisch in Bitcoin zu wechseln.

Die Vorteile der Knappheit von Bitcoin „sind offensichtlich in einer Zeit, in der das Angebot von Fiatgeld explodiert.“ M2, die Geldmenge, die neben Bargeld und Zentralbankeinlagen auch Bankeinlagen, Sparbücher und Geldmarkt-Fonds umfasst, wachse derzeit um 20 Prozent – IM JAHR! Man muss weder eine Wirtschaftshistoriker noch ein anerkannter Ökonom noch ein Verschwörungstheoretiker oder Goldbug sein, um zu sehen, dass das nicht gut gehen KANN:

Wenn es denn keine Inflation der Konsumgüter geben sollte, dann gibt es schon seit Jahren eine heftige und stetig anziehende Inflation der Vermögenswerte, was de facto einer massiven Umverteilung von unten nach oben gleichkommt. Wenn es so weiterläuft, wird sich das kleine Zeitfenster schließen, in welchem das Kapital etwas fairer verteilt war, und wir fallen zurück in die Ungleichheitsverhältnisse der feudalistischen Vormoderne.

Weniger offensichlich, erklärt Ferguson, sind die Vorteile der Souveränität, die Bitcoin dem Nutzer von Geld verleiht – aber sie seien sogar noch wichtiger: Überall auf der Welt, etwa in China und Schweden, verdrängen elektronische Zahlungsverfahren das Bargeld. Einige Ökonomen – er nennt „meinen Freund“ Ken Rogoff – begrüßen diesen Wandel, da Bargeld Sand im Getriebe von Geldpolitik und Verbrechensaufklärung ist. Aber, wendet Ferguson ein, „wir werden in einer fundamental anderen Welt sein, wenn alle unsere Zahlungen aufgezeichnet, zentral gespeichert und durch künstliche Intelligenzen untersucht werden.“ Ob nun Jeff Bezos von Amazon oder Xi Jinping von China am Drücker sitzt.

Bitcoin sei dabei nicht außerhalb des Gesetzes. Zahlungen auf der Blockhain sind hervorragend nachverfolgbar, weshalb Kriminalitätsbekämpfung auch mit Bitcoin problemlos möglich ist. Man sieht dafür zahlreiche Beispiele, Tag für Tag. „Der Punkt ist aber, dass die finanziellen Daten von gesetzestreuen Bürger durch Bitcoin viel besser geschützt werden als durch Alipay.“ Auch das stimmt. Die pseudonyme Transparenz der Bitcoin-Blockchain schlägt eine meisterhafte Balance zugunsten der Kleinen und Ehrlichen und gegen die Wale und Verbrecher.

Daher fordert Ferguson die künftige US-Regierung unter Joe Biden auf, es nicht China gleichzutun – also nicht zu versuchen, einen Blockchain-Dollar zu bauen – sondern „die Vorteile davon anzuerkennen, Bitcoin in das US-Finanzsystem zu integrieren“. Schließlich sei dieses ja mit der Absicht gebildet worden, mehr Respekt für individuelle Privatsphäre zu zeigen als die Systeme von weniger freien Gesellschaften.

Sosehr man der Forderung auch zustimmen möchte, so sehr lässt der Artikel einen enttäuschenden Geschmack zurück. Ferguson, der berühmte Historiker, trägt nicht viel mehr zur Diskussion bei, als einige Thesen, die auf allen Bitcoin-Stammtischen unumstritten gang und gäbe sind, in das Feuilleton zu bringen. Man hätte sich von ihm mehr gewünscht, etwa darüber, was einen Wertspeicher ausmacht. Aber gut – das ist ein Jammern auf hohem Niveau. Denn der Beitrag des Historikers zeigt deutlich, wie weite Kreise das Bekenntnis zu Bitcoin mittlerweile gezogen hat.

Über Christoph Bergmann (2561 Artikel)
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