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Der große Kontrollverlust

Bild von Paulius Malinovskis via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Die palästinensische Hamas finanzierte ihren Angriff auch durch Kryptowährungen. Ein Experte urteilt daher, dass jeder, der Krypto toleriere, den Terror in Kauf nehme. Das ist weder wahr noch falsch – sondern geht zielgenau an der Wirklichkeit vorbei.

Ungefähr ein halbes Jahrtausend ist es her, dass sich Kanonen auf den Schlachtfeldern durchsetzten. Ihre Wucht machte die vorher strategisch wichtigen Burgen bedeutungslos. Das lernte der Ritter Franz von Sickingen auf die harte Weise: Nach seinem Aufstand gegen die Fürsten zerschossen diese die Burgen von ihm und seinen Verbündeten blitzkriegsartig.

Neue Technologien machen alte Waffen stumpf. Das war schon immer so und das geschieht derzeit mit Kryptowährungen und Finanzsanktionen. Ein Experte für Geldwäsche drückt dies im Interview mit der ZEIT so aus: „Wer Kryptowährungen toleriert, nimmt auch Terroranschläge in Kauf.“

Es geht um die Hamas. Die palästinensische Terrororganisation hat Analysen zufolge seit 2019 rund 41 Millionen Dollar in Kryptowährungen als Spenden eingesammelt, ihre Verbündeten angeblich sogar mehr als 90 Millionen Dollar. Die Regierung Israels fordert die Börse Binance auf, rund 100 Accounts einzufrieren, auf denen sich für die Hamas bestimmte Kryptowerte im Wert von Millionen befinden.

Franz von Sickingen, Kupferstich.

„In diesem Abschnitt des Krieges sind Kryptowährungen ein maßgebliches Instrument der Terrorfinanzierung, da es keine anderen Optionen gibt,“ erklärt Tom Alexandrovitsch vom israelischen Cyberdirektorat der Financial Times. Die Anzahl der Krypto-Spenden seien explodiert, seit die Hamas ihren Angriff begonnen hat.

Binance kooperiert immerhin mit den Behörden. Eine andere von der Hamas benutzte Börse, Garantex, macht dies offenbar nicht. Die Moskauer Plattform wurde seit dem Krieg in der Ukraine zur wichtigsten Drehscheibe für die Umgehung von Finanzsanktionen. Sie verbindet die beiden Kriege zu einer unschönen Achse der Geldwäsche.

Ein lächerlicher Artikel“ – wirklich?

Für die Bitcoin- und Kryptoszene ist das natürlich unangenehm. So unangenehm, dass der Blocktrainer seinen Urlaub kurz unterbricht und mit einem Video auf das Interview in der ZEIT antwortet.

Schon im Titel nennt Roman den Artikel lächerlich; im Video beklagt er das negative Framing, das all die guten Aspekte von Bitcoin unterschlägt. Kriminelle Transaktionen machen nur einen winzigen Bruchteil des tatsächlichen Transaktionsvolumens aus, und die Hamas wird in viel größerem Umfang durch Dollar als durch Kryptowährungen finanziert.

Da ist natürlich etwas dran. Allerdings sollte man es sich als Bitcoiner nicht zu einfach machen. Denn gewöhnlich betonen Bitcoiner mit leuchtenden Augen, wie entscheidend die Dezentralität ist. Nur sie macht Erlaubnisfreiheit und Zensurresistenz möglich, jene elementaren Eigenschaften, die Bitcoin so viel besser als den Dollar machen: Jeder kann Geld zu jedem Zweck empfangen, speichern und versenden, und keine Macht der Welt kann dies verhindern, nicht einmal die USA mit ihren Sanktionslisten. Bitcoin befreit Geld aus der Kontrolle der Staatsgewalt.

Wenn aber nun eine international geachtete und sanktionierte Terrorganisation Kryptowährungen verwendet, weil diese wie beworben zensurresistent und erlaubnisfrei sind – dann ist es nicht wirklich konsistent, wenn man als Bitcoiner plötzlich sagt, aber der Dollar sei ja genauso schlimm.

Es ist kein Zufall, dass die Hamas Krypto verwendet, sondern liegt in der Natur der Technologie. Man sollte das Rückgrat haben, das anzuerkennen.

Bitcoin als natürlicher Gegenkraft

Bitcoin bzw. die Blockchain-Technologie ist wie die Kanone: Sie macht vorher kriegsentscheidende Instrumente stumpf.

Wenn heute finanzielle Zensur ausgeübt wird, kommt  Krypto auf natürliche Weise ins Spiel, so wie eine Gegenkraft, die unvermeidbar auf Druck antwortet. Bitcoin und andere Kryptowährungen helfen chinesischen Dissidenten, syrischen Flüchtlinge, libanesischen Familien, venezolanischen Arbeitern, nigerianischen Frauenrechtlerinnen, kanadischen Truckern – aber eben auch nordkoreanischen Atomraketenbauern, russischen Söldnern, iranischen Revolutionswächtern und islamischen Terroristen.

Die Entwicklung, dass Sanktionen ihre Macht verlieren, war seit vielen Jahren absehbar. Mit jedem Konflikt und jeder Zensur und Kapitalkontrolle wird sie machtvoller. So wie Sickingen muss der Westen diese Pille derzeit schlucken.

Nanstein, die Hausburg von Franz von Sickingen, ist seit dem Ritterkrieg nur noch eine Ruine. Bild von gesoe62 via wikipedia.de. Lizenz: Creative Commons

Der von der ZEIT befragte Rechtsanwalt Fabian Teichmann erklärt, dass Kryptowährungen mittlerweile ein bevorzugtes Mittel der Terrorfinanzierung aus dem Westen geworden seien. Banküberweisungen werden blockiert, und das Hawala-Banking ist teuer und unzuverlässig. „Ein Transfer [mit Krypto] ist schneller als eine Banküberweisung, kostengünstig und weitestgehend anonym, wenn man es richtig macht.“ Zum Teil gibt es bereits eine zirkuläre Krypto-Ökonomie, in der etwa Kämpfer mit Stablecoins bezahlt werden.

Eine Partei nach der anderen versteht das; Sanktionen werden mit jedem Konflikt wirkungsloser.

Kanonen verbieten, damit Burgen wieder funktionieren

Die Terrorfinanzierung mit Kryptowährungen macht die Nachverfolgung der Geldströme schwieriger. Dennoch gelingt es Israel, die Hamas-Accounts auf Binance zu identifizieren, und der Blockchain-Analyst Elliptic vollzieht die Verbindung zur Moskauer Börse Garantex nach.

Anonymität ist aber gar nicht so entscheidend. Denn selbst wenn die Transaktionsströme offen liegen, bleiben sie unaufhaltbar. Garantex steht schon lange auf Sanktionslisten, operiert aber dennoch munter weiter. Geldwäsche-Experte Teichmann fordert daher: „Staaten müssten endlich anfangen, Kryptowährungen stärker zu regulieren. Wer Kryptowährungen toleriert, nimmt auch Terroranschläge in Kauf.“ Damit simplifiziert er die Problematik jedoch massiv.

Teichmann meint, es reiche aus, die Regulierung im Westen zu straffen und wenn nötig Krypto zu verbieten, um den Geist zurück in die Flasche zu quetschen. Diese Vorstellung, technischen Fortschritt per Gesetz rückgängig machen zu können, ist zum Teil auch in der europäischen und deutschen Politik verbreitet. Wenn man Kanonen verbietet, funktionieren Burgen wieder!

In der Realität ist das natürlich unmöglich. Wenn überhaupt, kann man Krypto in globalem Konsens regulieren. Daran hat sich Russland schon vor dem Krieg nur mäßig beteiligt; nun blockiert das Land komplett und nutzt Krypto selbst, um Sanktionen zu umgehen. Der Kontrollverlust ist bereits geschehen, und keine Klage und kein Gesetz wird ihn wieder rückgängig machen.

Keine Silberkugel mehr“

Anders als Teichmann erkennt das Wall Street Journal diesen Kontrollverlust an:

„Das US-Finanzministerium sagte in einem Bericht im letzten Jahr, dass Lücken in der Kontrolle von Kryptobörsen es Terroristen erlauben, diese zu missbrauchen. Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant betonte letzten Sommer, die Nutzung digitaler Währungen mache die Aufgabe, Terrorfinanzierung aufzuhalten, noch komplexer.

In Russland wird die Börse [Garantext] benutzt, um Rubel gegen andere Währungen zu wechseln, was durch die Sanktionen gegen russischen Banken nach der Invasion in die Ukraine schwieriger geworden war. Kunden zahlen Rubel ein und erhalten Krypto, in der Regel Stablecoins, die an den US-Dollar gebunden sind.“

Die Expansion von Garantex „stellt Fragen über die Effektivität von US-Sanktionen, wenn sie sich gegen Ziele richten, die finanziell isoliert in einem feindlichen Territorium liegen.“ Die Sanktionslisten des Finanzministeriums seien „keine Silberkugel mehr“, Börsen wie Garantex begrenzen ihre Wirksamkeit.

Das ist offenbar die Wirklichkeit. Aber wie geht es von hier aus weiter?

Zeit, die Wirklichkeit anzuerkennen

Man kann an der Stelle natürlich klagen, dass Kryptowährungen dazu beigetragen haben, das Instrument der Sanktionen zu schleifen. Man kann fordern, sie zu verbieten, und man kann Bitcoinern die Schuld dafür geben, dass es zu Terrorangriffen kommt. All das macht Teichmann im ZEIT-Interview, zumindest indirekt, und vielleicht hilft es manchen, sich besser zu fühlen.

Nicht helfen wird all das aber, auch nur eine einzige Sanktion zu stützen. Nichts davon wird verhindern, dass Terrorismus und Atomwaffen finanziert werden. Es wird lediglich den Westen von technischem Fortschritt abschneiden: Er wird sich einbilden, er könne Kanonen verbieten, und darum weiter Burgen bauen, die im Zweifel aber nutzlos sein werden. Noch nie war es ein Erfolgsweg, technischen Fortschritt nicht zu nutzen.

Es ist an der Zeit, die Wirklichkeit anzuerkennen, anstatt sie zu beklagen oder per Gesetz bekämpfen zu wollen. Sanktionen sind eine stumpfe Waffe im Zeitalter digitaler Währungen. Man sollte sich endlich etwas anderes auszudenken, anstatt die Tragödie von Franz von Sickingen in Endlosschleife zu wiederholen.

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2 Kommentare zu Der große Kontrollverlust

  1. Die Frage ist doch wer finanziert diese Irren und warum?
    Das Problem muss man doch an der Wurzel lösen und nicht den Boten lynchen um in der Metapher zu bleiben.

  2. What???
    >> Allerdings sollte man es sich als Bitcoiner nicht zu einfach machen.
    >> Denn gewöhnlich betonen Bitcoiner mit leuchtenden Augen,
    >> wie entscheidend die Dezentralität ist.
    Vielleicht sind ja tatsächlich einige Verbrähmte dabei, die an das Bessere glauben. Der Satz scheint mir sehr, sehr weit hergeholt. Durchgehen lasse ich vielleicht noch, dass Bitcoiner mit leuchtenden Augen erzählen, dass die Genialität in der Dezentralität liegt, und damit die Zensurresistenz am höchsten ist. Die Realität belehrt uns eines anderen. Ich empfinde das als eine Unterstellung, und auf den Bitcoin Meetups auf denen ich unterwegs bin, sind alle so geil drauf, dass endlich Blackrocks und Co einsteigen (aka noch zentralisierter werden), nur damit der Preis steigt. Wisse: Ethik, Moral und Geld passen einfach nicht zueinenander.
    Insofern kann ich Bitcoin ruhigen Gewissens nutzen, zum Spekulieren, und auch zum bezahlen, wissend dass immer die von den Bessermenschen beannten Terroristen diese Technologie nutzen werden. Ich habe übrigens meinen Freunden im Gaza Streifen schon öfters Bitcoin gesendet. Weil sie unter katastrophalen Bedingungen leben müssen, in einer Art Geiselhaft, die sie bestarft, weil ein paar doofe sich mit Israel anlegen wollen, und nun als gesamtes Volk dafür büssen müssen, weil Israel sich in Rachegelüsten gerade formiert. Und ja, mit diesen Bitcoins haben meine freunde Gelder getauscht, bei einem lokalen Händler, der hat Gemüse beim Bauern dafür gekauft, und der hat beziehung zum Cousin von einem der Hamas Trottel, und die haben von seinem Geld profitiert. Ganz klar: ich habe habe den Terrorismus finianziert. Mit Bitcoins! Manchmal sind Menschen eben nur erbärmlich, egal ob da oder hier. Aber wir wissen das ja besser, weil wir die Guten sind 🙂

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