Tangany, der vollregulierte Kryptoverwahrer

Tangany aus München wurde zum bekanntesten Kryptoverwahrer Deutschlands. Wir haben uns erkundigt und stellen eines der am schnellsten wachsenden Krypto-Startups der Republik vor – und diskutieren, was das für Bitcoin und seine Ideologie bedeutet.
Der Name Tangany taucht in den letzten Jahren immer wieder auf: etwa wenn die dwp Bank ankündigt, Kryptowährungen zu verwahren, wenn Exporo Anteile von Immobilien tokenisiert, oder wenn ein deutsches Krypto-Startup einmal in den Genuss einer reichhaltigen Funding-Runde kommt.
Das Unternehmen aus München bietet eine „Wallet-as-a-Service“ Treuhandlösung an, die den Umgang mit „digitalen Assets“„maximal sicher und flexibel“ macht, so die Webseite. Tangany richtet sich nicht an Verbraucher, sondern an Unternehmen, die mit Krypto arbeiten, und verwahrt für diese die Assets.
Mittlerweile hat Tangany 55 Kunden und rund 500 Millionen Euro unter Verwahrung. Vor etwa einem Jahr erhielt das Startup eine 7-Millionen-Euro-Kapitalspritze. Man habe vier Mal so viele Aufträge, wie man umsetzen könne, kommentierte CEO Martin Kreitmair, und man werde aggressiv wachsen. Tangany, meinte der investierende C3 VC Fund, „ist sehr gut aufgestellt für die nächste Stufe der Evolution“: Banken bräuchten Verwahrer, und Tangany habe einen Vorsprung in Europa und darüber hinaus.
Zeit also, mehr zu erfahren. Dafür haben wir mit Marcel Nellesen geredet, dem Head of Product and Engineering von Tangany.
„Ohne gute Verwahrer wird es keine Mass Adoption geben“

Marcel Nellesen. Bild für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt. Alle Bildrechte vollständig bei Marcel Nellesen.
Marcel ist 37 Jahre alt und hat lange bei DATEV in Nürnberg gearbeitet, einem Hersteller von Software für sie Steuerermittlung und Buchhaltung. Ab 2019 fiel er jedoch ins „Rabbit Hole“: Er beschäftigte sich zuerst mit dem Bitcoin-Trading, las dann einschlägige Bücher wie den „Bitcoin Standard“, und zack!, war es soweit: Er war, fast schon versehentlich, zum Bitcoiner geworden; zu jemandem, der Begriffe wie Fiat, Halfing, Satoshi und UTXO im Schlaf herunterbeten kann. Also beschloss er, Hobby und Beruf enger zu verbinden, und bewarb sich bei Tangany.
Das überrascht zunächst. Wie kann man ins “Rabbit Hole” fallen, in eine Welt, in der nichts so zentral ist wie die eigene Verwahrung der Coins und Schlüssel – und dann bei einem Unternehmen anheuern, das genau das Gegenteil macht, nämlich die Schlüssel von anderen zu verwahren? Das also diesen ganzen Mangel an Autonomie, den die Leute vor Bitcoin hatten, wieder heraufbeschwört?
Auch Marcel ist dieser Widerspruch bewusst. Not your Keys, not your Coins. Er ist Bitcoiner, er kennt das. “Ich kann die Ideologie um Bitcoin gut nachvollziehen und teile sie auch. Aber ich denke auch, dass wir noch nicht sehr gut darin sind, Werte selbst aufzubewahren, und dass es immer ein Bedürfnis nach Verwahrern geben wird. Ohne gute Verwahrer wird es keine Massenadoption geben.“
Mit dieser Ansicht steht Marcel auch in Bitcoin-Kreisen nicht alleine da. Schon der legendäre Hal Finney, der “Second Miner” nach Satoshi, plädierte für “Bitcoin Banken”; auch der Lightning-Entwickler Rene Pickhardt, immerhin Erfinder der nach ihm bekannten “Pickhardt-Payments”, wirbt für Toleranz gegenüber Verwahren; und bis vor kurzem empfahlen Bitcoiner bedenkenlos Treuhandwallets wie Wallet of Satoshi, Blue Wallet oder Tippin.me.
Warum ist das eine “Bitcoin”, und das andere “nicht Bitcoin”? Geht es anstelle solcher Schwarz-Weiß-Unterscheidungen nicht vielmehr darum, ob ein Treuhänder einen Mehrwert schafft? Macht er etwas möglich, das vorher nicht möglich war? Schafft er ein Sicherheitsniveau, das ein Einzelner nicht erreichen kann? Führt er das Vertrauen ein, das viele Leute weiterhin brauchen?
Solange die Option bestehen bleibt, dass man seine Bitcoins und Token selbst verwahrt, spricht nicht das geringste dagegen, mit einer Treuhandlösung auf Bedürfnisse von Usern zu reagieren.
Danach hängt aber alles davon ab, wie diese Treuhand aufgesetzt wird.
Das Setup
Gemeinsam mit seinem Team aus 10 Entwicklern baut Marcel bei Tangany die Software, die jene gute Verwahrung möglich machen soll, welche seiner Meinung nach nötig für eine Massenadoption ist.
Das Konzept ist durchaus ausgefeilt: Die privaten Schlüssel für die Bitcoins und Token der Kunden verwahrt Tangany mithilfe von Hardware-Sicherheitsmodulen. Das ist eine Hardware, die kryptographische Operationen extern verarbeitet. So ähnlich wie eine Hardware-Wallet, nur für Profis. Im folgenden Video sieht man gleich ein solches Gerät.
Die Kunden können sich bei diesen Modulen mithilfe einer API einloggen, um dann die Wallet zu bedienen. Der Clou: „Wir haben dabei keine Möglichkeit, auf den privaten Schlüssel zuzugreifen. Das kann nur unser Partner.“ Allerdings gibt es “für Katastrophen Eskalationsstufen, die uns erlauben, das Setup zurückzusetzen. Das geht aber nur durch ein 6-Augen-Prinzip und nicht ohne Zustimmung des Kunden.“ So minimiert Tangany schon mal die Risiken, dass aus eigenem Verschulden Coins gestohlen werden.
Für den Fall des Falles greift aber eine Versicherung. Es gelang dem Startup erst kürzlich, seine Assets beim örtlichen Großversicherer Munich RE zu versichern. Ein weiterer Sicherheitsmechanismus greift, sobald eine Transaktion einen Betrag von 100.000 Euro versendet. Dann wird sie im ersten Schritt pauschal geblockt und muss durch das Management freigegeben werden. Wenn es einen Angriff gibt, wird man ihn so mitbekommen.
Das klingt, alles in allem, nach einem sicheren Setup – sehr wahrscheinlich deutlich sicherer als die übliche Eigenverwahrung der Bitcoin-Schlüssel..
Regulierung als Asset – und ihr Preis
Allerdings ist das Setup der Verwahrung nicht der einzige Grund, warum Tangany auf dem deutschen Markt so gut ankommt. Mindestens ebenso wichtig ist etwas anderes: die Lizenz als Kryptoverwahrer, ein seltenes Privileg, das die BaFin nur wenigen Unternehmen gewährt. „Für unsere Kunden ist das extrem wichtig. Wir zielen ja nicht auf den Verbrauchermarkt, sondern auf Unternehmen, die eine regulierte Verwahrlösung suchen, und die, wie Banken, auch gar nicht anders können.“
Diese Lizenz ist das vielleicht wichtigste Asset von Tangany. Sie hat aber auch ihren Preis. Sie zwingt Tangany dazu, das Produkt über die Verwahrung hinaus zu beeinflussen. Wir können hier beobachten, welche Wirkungen und Nebenwirkungen Regulierung haben kann.
Das zeigt sich bereits bei den einfacheren Kunden von Tangany, den Banken und Brokern. Diese wollen ihren Kunden vor allem erlauben, in Bitcoin und andere Kryptowährungen zu investieren. An den Token und Coins haben sie darüber hinaus relativ wenig Interesse. Sie wollen nur kaufen, halten und verkaufen.
Wenn jedoch die Kunden einer Bank Coins ein- oder auszahlen wollen, beginnt die Schwierigkeit. Dann muss Tangany, als lizensierter Verwahrer, „ermitteln, woher die Assets kommen und wohin sie gehen.“ Die Banken und Broker müssen also für Tangany Informationen einholen. Wer hat eingezahlt? An wen wird ausgezahlt? Kann man das beweisen? Weil nun viele Broker, denen es nur ums Investment geht, solche Schleifen der Datenerhebung, Datenprüfung und Datenmeldung lieber vermeiden wollen – verzichten sie oft auf diese Option gleich ganz.
Ein Beispiel ist Exporo, das zwar Immobilieninvestments tokenisiert hat, aber dem User nicht ermöglicht, irgendetwas mit diesen Token zu machen. Auch die dwp Bank, die für das Netz der Volksbanken eine Krypto-Plattform aufbaut und Kunde von Tangany ist, wird diese Option angeblich vorerst nicht freischalten.
Verliert die Treuhand damit ihre Unschuld? Wenn sie zur Einbahnstraße wird, wenn die User gar nicht mehr die Option haben, aus ihr herauszugehen – handelt es sich dann überhaupt noch wirklich um Bitcoins, oder nur um ein Produkt im Frontend der Bank, das auf Bitcoin basiert? Oder passiert genau das, was viele prophezeit haben – dass die Kombination von Verwahrung und Regulierung den Geist von Krypto erstickt?
Eine solche Ansicht wäre etwas zu hart, meint Marcel. „Bei der Einzelverwahrung sind Ein- und Auszahlungen natürlich jederzeit möglich.” Er möchte keine Namen nennen, aber es gibt offenbar nicht wenige Kunden, die es trotz der regulatorischen Widrigkeiten erlauben. “Bei der Sammelverfahrung bieten wir es ebenfalls an, es wird aber nicht von jedem Partner an den Kunden weitergereicht,“ fügt er hinzu. „Das Interesse daran ist, vor allem bei Brokern und Banken, sehr überschaubar.“
Die Kryptowertpapiere
Näher an der Technik dran ist eine andere Art von Kunde: die Tokenisierer. Diese bilden „Immobilien, Kunst, Solarparks und zukünftig auch Aktien“ als Token ab. Die Umsetzung des Kryptowertpapiergesetzes gibt der regulierten Tokenisierung in Deutschland einen Schub. Allerdings treten auch hier die Bürden der Regulierung deutlich hervor.
Elektronische Wertpapiere oder Kryptowertpapiere dürfen etwa nicht beliebig versendet werden, wie man es von Bitcoins kennt. Es reicht auch nicht, im Frontend zu ermitteln, wohin. Stattdessen bedürfen sie einer Whitelist: Man muss etwa Adressen und Smart Contracts, mit denen man interagiert, auf eine Whitelist setzen. Das wird es schon mal sehr schwierig machen, mit dem DeFi-Ökosystem kompatibel zu sein.
Marcel ist überzeugt, dass es sinnvolle Anwendungen für Kryptowertpapiere gibt. Er ist auch überzeugt, dass es keinen Sinn ergibt, die Kryptowertpapiere auf geschlossenen Blockchains herauszugeben, auch wenn diese auf den ersten Blick Vorteile haben mögen.
Dafür zu sorgen, dass es möglich ist, offene Blockchains zu verwenden, wie Polygon, sieht er als Aufgabe von Tangany an – und, hoffentlich, dafür zu sorgen, dass man Innovationen nicht zu sehr erstickt, wenn man die unvermeidbare Regulierung umsetzt. Das ist vielleicht die schwierigste Aufgabe, vor der das Startup steht.
Ja, das Geschäftsmodell dieser Firma widerspricht schon ziemlich direkt den Prinzipien von Bitcoin. Was waren nochmal die Vorteile von Bitcoin usw.? Integrität durch eine blockchain und dezentralität. Beide Vorteile kann man nicht nutzen wenn man seine coins einem “verwahrer” gibt. Nicht falsch verstehen: die können das ja so machen, no Problem. Aber warum Nelleson sich dann “Bitcoiner” nennt ist mir unklar. Wenn er die Firma nur als verwahrer sieht, und auch sonst keine kryptowährungsbezogenen Vorteile seinen Kunden Bietet, kann er auch einfach bei einer normalen bank arbeiten. Banken sind Fiat-Geld-verwahrer, die im kern das gleiche machen, was tangany mit kryptowährungen macht. Umgekehrt ist mir dann unklar, warum nicht auch ein Fiat-Banker hier auf diesem blog einen schönen langen Artikel darüber veröffentlichen kann, wie wichtig treuhänder sind. Wäre im Prinzip der gleiche Inhalt.