Newsticker

Das semantische Klein-Klein, das über die Zukunft von Krypto in den USA entscheiden könnte

In den USA schreitet der Prozess gegen Tornado Cash voran. Den Entwicklern der Smart Contracts, die Transaktionen auf Ethereum anonymisieren, wird vorgeworfen, einen „Money Transmitter“ betrieben zu haben. Damit greift der Prozess weit über den Fall selbst hinaus. Er wendet nicht nur Recht an – er schafft es.

Wir müssen heute über ein spezielles amerikanisches Rechtskonstrukt reden: Den „Money Transmitter“. Man könnte es als Zahlungsdienstleister übersetzen.

Ein Money Transmitter ist ein Unternehmen, das im Auftrag anderer Geld empfängt und – oder – versendet. Ist man als Money Transmitter eingeordnet, muss man die Auflagen des Financial Crime Enforcement Networks (FinCEN) erfüllen. Man muss beispielsweise die Identität der User prüfen und Transaktionen dokumentieren.

Börsen, Zahlungsdienstleister und treuhänderische Wallets sind offensichtlich Money Transmitter. Dezentrale Börsen, nicht-treuhänderische Wallets und Lightning-Nodes sind, um nur ein paar Beispiele zu nennen, keine Money Transmitter – und dies ist für das Ökosystem der Kryptowährungen wesentlich: Man hat Zahlungsdienstleister, die keine Money Transmitter sind.

Derzeit jedoch gibt es einen Prozess vor einem US-Gericht, in dem die Anklage als Nebenschauplatz versucht, die Definition eines Money Transmitters auszuweiten. Das könnte die Gewissheit eines weiten Segments des Marktes, kein Money Transmitter zu sein, erschüttern.

Da es so wichtig ist, gehen wir also auf einen Tauchgang in die Juristerei.

Der Prozess

In dem Prozess geht es um die Klage gegen Tornado Cash, bzw. gegen zwei seiner Entwickler, Roman Storm und Roman Semenov. Tornado Cash ist eine dezentrale Plattform, um Coins und Token auf Ethereum zu anonymisieren. Die Entwickler von Tornado Cash wurden im vergangenen Jahr verhaftet, die zugehörige Webseite geschlossen.

Allerdings ist Tornado Cash lediglich ein Set vom Smart Contracts auf der Ethereum-Blockchain. Die Entwickler haben keinen direkten Einfluss auf den Betrieb. Auch nach ihrer Verhaftung läuft Tornado weiter, und sie haben keine Möglichkeit, dies zu ändern.

Das macht den Prozess so spannend: Er entscheidet, welche Haftung Software-Entwickler haben können, die nicht in der Lage sind, in den Betrieb einer Plattform einzugreifen.

Die Klage lautet vor allem auf Beihilfe zur Geldwäsche, die sie, ähnlich wie die Entwickler der Samourai-Wallet, bewusst in Kauf genommen und sogar unterstützt haben. Doch daneben wirft sie den beiden ohne Not vor, einen nicht-lizensierten Money Transmitter betrieben zu haben. Damit sticht sie im Vorbeigehen ein riesiges Fass an:

Denn wenn Tornado Cash ein Money Transmitter ist – wer sagt dann, dass dezentrale Börsen wie Uniswap das nicht sind? Und wäre nicht nach denselben Kategorien auch ein Lightning-Knoten ein Money Transmitter? Oder gar ein Full Node?

Es geht plötzlich um viel mehr als Tornado Cash. Es geht um die Schöpfung von Recht.

Das Argument der Blockchain Association

Die Blockchain Association, eine Lobbyorganisation für Bitcoin und andere Krptowährungen, springt den angeklagten Entwickler als Amici mit einem Gutachten bei.

In diesem nennt sie es ein „fundamentales Missverständnis der relevanten Technologien und Gesetze“, wenn Tornado Cash ein „Money Transmitter“ genannt wird. Denn die langjährige regulatorische Praxis lasse keinen Zweifel daran, „dass ein Unternehmen nur Money Transmitter sein kann, wenn es Kontrolle über die überwiesenen Assets ausübt.“

Das ist die Schlüsselfrage diese Prozesses: Muss man Kontrolle ausüben, um als Money Transmitter zu gelten? Ist das Fehlen von Kontrolle ein regulatorischer Freibrief?

Die FinCEN habe dies, meint die Blockchain Association, schon 2019 in ihrer Richtlinie für die Krypto-Branche bestätigt: Nur wenn ein Mittelsmann eine „vollständige und unabhängige Kontrolle“ hat, wird er zum Money Transmitter.

Zentral organisierte Anonymisierungs-Dienstleister wie Mixer sind Money Transmitter: Sie nehmen die digitalen Währungen der Kunden an, verwahren sie treuhänderisch und zahlen sie dann aus. Tornado Cash ist jedoch anders: „Zu keinem Zeitpunkt haben die Angeklagten Kontrolle über eines der übermittelten Assets ausgeübt.“ Auch indirekt haben sie keine Kontrolle: Die wesentlichen Smart Contracts sind unveränderbar, die Entwickler haben keine Möglichkeit, sie zu verändern.

Auch das User-Interface, das die Tornado-Cash-Entwickler bereitstellten, schafft keine Kontrolle. Es ist lediglich eine Webseite, die Usern hilft, mit den Smart Contracts zu interagieren. Jeder kann ein solches Interface bilden, und die User können die Smart Contracts auch direkt ansprechen. Da das User-Interface nicht auf der Blockchain ist, interagiert es zudem nicht mit den Coins der User. Es fehlt jeder Hebel, um Kontrolle auszuüben.

Auch Anbieter von Multisig-Wallets sind keine Money Transmitter. Die FinCEN erklärte 2019, dass sie es auch dann nicht sind, „wenn sie einen zweiten Schlüssel aufbewahren, mit dem die Transaktionen validiert und ausgeführt werden,“ denn obzwar der Schlüssel notwendig ist, „gehören die Werte weiterhin dem Besitzer, und der Mittelsmann hat keine vollständige unabhängige Kontrolle über sie“. Es reicht also nicht einmal aus, eine für die Transaktion notwendige Operation beizusteuern, obwohl dies effektiv einer negativen Treuhand entspricht.

Auch Handelsplattformen für digitale Währungen und dezentrale Börsen sind, so die FinCEN in ihren Richtlinien, keine Money Transmitter, „wenn sie lediglich ein Forum bereitstellen, auf dem Käufer und Verkäufer von digitalen Assets ihre Angebote posten und die Transaktion selbst außerhalb der Plattform ausgeführt wird.“ Eine Webseite wie die von Uniswap ist demnach kein Money Transmitter.

Keine Kontrolle – kein Money Transmitter. Dies ist die gängige Rechtsprechung, und dies fordert die Verteidigung auch für die Entwickler von Tornado Cash ein.

Die Argumente der Anklage

Die Anlage besteht dagegen darauf, dass die beiden Entwickler als Mitglied eines Money Transmitter gearbeitet haben. Denn das Statut der FinCEN definiere als Money Transmitter jeden Akteur, der „im Auftrag der Öffentlichkeit Guthaben auf jedem möglichen Weg transferiert.“

Kontrolle sei keine Voraussetzung für Transmission: „Beispielsweise transferiert ein USB-Kabel Daten von einem Gerät zu einem anderen, und ein Backofen transferiert Hitze von einer Wärmequelle zu einem Teig, obwohl er keine situative Kontrolle darüber hat.“

Aus den Statuten und Richtlinien der FinCEN gehe nicht hervor, dass Kontrolle eine zwingende Voraussetzung für den Status eines Moneny Transmitters sei. Sie spricht kaum von Kontrolle. Wenn doch, wie im Fall der Multisig-Wallets, gehe es um ein komplett anderes Geschäftsmodell als bei Tornado Cash, und selbst dort sei die Kontrolle nur einer von mehreren relevanten Faktoren.

Würde man den Einwand der Verteidigung akzeptieren, würde dies zudem die Intention der Statuten auszehren: Denn diese wurden geschrieben, um „Schritt zu halten mit sich entwickelnden Bedrohungen, wie neuen Methoden, um kriminelle Einkünfte zu verschleiern“.

Das, was wie eine Ente aussieht, wie eine geht und wie eine quakt – ist vermutlich auch eine Ente: Der Service, den Tornado Cash anbietet, unterscheide sich in Nichts von dem zentralisierter Mixer. Die Entwickler haben ihn wie ein kommerzielles Unternehmen betrieben: „alle Aspekte des Tornado Cash Services geschaffen, essentielle Komponenten des Services bezahlt und die Kontrolle über diese ausgeübt, den Service beworben und substanzielle Profite bezogen.“

Danach reagiert die Anklage relativ ausführlich auf eine semantische Definition von „Transferieren“, „Transmission“ und „Kontrolle“ sowie deren Anwendung in der Regulierung durch die FinCEN.

Die Semantik

Auf die Gefahr hin, zu einer etwa ermüdenden Semanterei anzusetzen: Wir müssen noch mal zu den Argumenten der Verteidigung zurück.

Das Statut der FinCEN definiert „Money Transmitting“ als „das Transferieren von Guthaben im Auftrag der Öffentlichkeit“. Transfer oder Transmission bedeutet, ein Guthaben von einer Person, einem Ort oder einer Situation zu einer anderen Person, an einen anderen Ort oder in eine andere Situation überzuführen. Laut Wörterbuch bedeutet Transfer (und Transmit) „das Bewegen von einem Platz oder einer Person zu einem anderen.“ Auch die FinCEN erkläre an anderer Stelle, dass ein Money Transmitter „Geld von einem Kunden erhält und dann für eine Gebühr, die dieser bezahlt, an einen Empfänger weitergibt.“

Um aber etwas von einem Ort zu nehmen und an einem anderen abzulegen – benötigt man logischerweise die Kontrolle über das Gut.

In ihren Richtlinien zum Umgang mit digitalen Assets schlage die FinCEN zudem eine klare Trennung, die den technologischen Fortschritt würdige: Ob ein Individum, das als Intermediär auftritt, auch regulatorisch als solcher betrachtet wird – also als Money Transmitter – müsse technologieunabhängig durch mehrere Faktoren betrachtet werden. Einer davon ist, „ob die Personen, die als Intermediär auftritt, die vollkommene und unabhängige Kontrolle über die Werte ausüben.“

Aus diesem Grund hat die FinCEN auch selbst beurteilt, dass „die Lieferanten von Werkzeugen (Kommunikation, Hardware oder Software), die für die Money Transmission genutzt werden könnten, darunter auch Anonymisierungssoftware, Handel betreiben und keine Money Transmitter sind.“

Die Klage hingegen wendet ein: Wenn man das Wort des Transfers so verstehe, wie es üblicherweise verstanden wird, gebe es nicht die Anforderung, die Kontrolle über die transferierten Guthaben auszuüben. In der Definition, die die Verteidigung zitiere, bedeutet Transferieren lediglich, etwas von einer Person, einem Ort oder einer Situation in eine andere zu überführen. Von Kontrolle stehe nichts dabei.

Die Klage gesteht zwar zu, dass das Wort „akzeptieren“ oder „empfangen“ eine gewisse Kontrolle über das Akzeptierte oder Empfangene nahelegt. Tatsächlich gibt es viele Fälle, in denen Money Transmitter die Kontrolle über die Guthaben, die sie transferieren, ausüben. Daher sei es nicht überraschend, dass der Eindruck entstehe, dass die Kontrolle Voraussetzung sei.

Aber es wäre eine absurde Rechtsprechung, eine Eigenschaft – die Kontrolle über Guthaben – zur definitorischen Bedingung zu erheben, nur weil sie auf viele Money Transmitter zutreffe. Hätte der Kongress gewollt, dass die FinCEN Unternehmen überwacht, die die Kontrolle über Geld ausüben, hätte er das in die Statuten hineingeschrieben. Doch in den Statuten steht klar, dass es um die Transmission geht.

Denkt einer auch an die Nebenwirkungen?

Ja, da stehen wir also, in der Mitte eines entscheidenden Prozesses. Zäht der Wortlaut eines Gesetzes – oder seine Ausdeutung? Die Intention oder die Gewohnheit?

Es handelt sich hier um eine schwer verständliche Diskussion, die große Konzepte mit semantisch Kleinem verbindet, dies juristisch einordnet und schließlich auf eine nicht einfach zu verstehende Technologie anlegt. Das Ergebnis wird, wie die Verteidigung vollkommen zu Recht feststellt, weit über Tornado Cash und auch weit über andere Anonymisierungsplattformen hinausgehen.

Sollte sich die Anklage durchsetzen, könnte dies unbeabsichtigte Folgen haben. Es könnte abschreckend wirken für die Entwicklung von Protokollen und Technologien zu digitalen Assets und Smart Contracts. Wenn die Definition des Money Transmitters überdehnt werde, erklärt die Verteidigung, könne dies den Grundsatz aushebeln, dass die reine Software-Entwicklung regulatorisch unverfänglich ist, was die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts einschränke.

Solche unintendierten Folgen sind nicht entscheidend für ein Urteil, aber auch nicht irrelevant. Die Verteidigung bleibt bei diesem Aspekt sogar noch konservativ. Sollte die Ausübung der Kontrolle als regulatorischer Freibrief ausfallen, gibt es kaum mehr einen Akteur im Ökosystem, der nicht fürchten muss, der Regulierung zum Opfer zu fallen: Wallet-Provider, Lightning Nodes, Full Nodes, Software-Entwickler, Token-Besitzer, Protokoll-Entwickler — warum sollten sie keine Money Transmitter sein, wenn doch auch ein USB-Kabel ein Datentransmitter oder ein Herd ein Hitzetransmitter ist?

Abgesehen davon können Akteure, die keine Kontrolle ausüben, die Auflagen der FinCEN gar nicht erfüllen, eben weil sie keine Kontrolle darüber haben. Würde man sie als Money Transmitter regulieren, würde das einem Vollverbot gleichkommen. Und ein solches Verbot würde ausgerechnet Dienstleister treffen, die per Design nicht in der Lage sind, Guthaben zu veruntreuen, und die in vielen Fällen beispiellos transparent arbeiten.

Es mag sein, dass es die Intention der FinCEN ist, jeden zu regulieren, der im Auftrag eines anderen Geld überweist. Aber es dürfte auch die Intention der Gesetzgeber sein, durch Regulierung Verbraucherschutz und Transparenz zu schaffen – anstatt sie zu bekämpfen.


Entdecke mehr von BitcoinBlog.de - das Blog für Bitcoin und andere virtuelle Währungen

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Über Christoph Bergmann (2819 Artikel)
Das Bitcoinblog wird von Bitcoin.de gesponsort, ist inhaltlich aber unabhängig und gibt die Meinung des Redakteurs Christoph Bergmann wieder ---

2 Kommentare zu Das semantische Klein-Klein, das über die Zukunft von Krypto in den USA entscheiden könnte

  1. Wolfgang Lohmann // 30. April 2024 um 16:00 // Antworten

    Schwieriger Stoff und interessantes Verfahren. Danke für das Beschreiben.
    Würde N-Knoten tatsächlich als MSB eingestuft … Es gäbe eine Lösung. Man nutze P2P. 😉

  2. Danke für die Klarstellung. Dass das noch eine sehr offenen Frage ist, beruhigt mich jetzt etwas – und andererseits auch nicht.

    Ich frage mich, wäre eine OpenSource Community, die ehrenamtlich einen solchen Smart Contract ohne Gewinnerzielungsabsicht erstellt und weiterentwickelt ebenfalls ein Money Transmitter im Sinne der Anklage?

    Und was würde eine Webseite vor einem solchen Smart Contract von der Bereitstellung Deines Internetproviders oder einer Suchmaschinenplatform mit der sich der Smart Contract finden und nutzen liesse abgrenzen.
    Ich nehme mal an gemäß (ii) (A) wären beide keine Money Transmitter, obwohl sie den Zugang dazu befördern. (nach https://www.ecfr.gov/current/title-31/subtitle-B/chapter-X/part-1010/subpart-A/section-1010.100#p-1010.100(ff)(5))

    Es bleibt in jedem Fall sehr interessant wie dieser Streit am Ende ausgehen wird. Berichte gerne weiter darüber.

Kommentar verfassen

Entdecke mehr von BitcoinBlog.de - das Blog für Bitcoin und andere virtuelle Währungen

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen