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Wie und wofür Venezolaner Kryptowährungen verwenden

Straße in Caracas. Bild von Zaprittsky via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Im Bitcoin-Land Venezuela erfüllen Kryptowährungen seit Jahren eine wichtige Funktion. Allerdings nicht ganz so, wie es sich viele Bitcoiner vorgestellt haben.

Ein neuer Bericht des Blockchain-Analysten Chainalysis widmet sich Lateinamerika, darunter auch Venezuela. Diesen ergänzt ein Artikel auf Cryptopolitan mit Aussagen der venezolanischen Community. Beides zusammen ergibt ein relativ scharfes Bild davon, wie es um Krypto in dem südamerikanischen Land steht.

In der Bitcoin-Szene ist Venezuela weithin ein Begriff. Das Land leidet seit 2014 an einer starken Inflation, die zeitweise zur Hyperinflation wurde. Ursache sind einerseits die Wirtschaftspolitik der sozialistischen Regierung, andererseits die Finanzsanktionen der USA, die es dem Land schwer machen, Devisen zu erwirtschaften. Bitcoin spielt hier seit langem eine Rolle als Rettungsboot für die Ersparnisse der Bevölkerung, die von der Geldentwertung gefressen werden, sowie als Transaktionsvehikel, um den Zahlungsverkehr trotz Kapitalkontrollen und Sanktionen aufrecht zu halten.

„Kryptowährungen haben vielen Venezolanern geholfen, damit fertig zu werden“

Venezuela, zitiert Chainalysis den Oppositionsführer Leopoldo Lopaz, der seit 2020 im Ausland lebt, „hat eine der schlimmsten Hyperinflationsraten der Geschichte erlitten, mit teilweise mehr als einer Million Prozent. Kryptowährungen haben vielen Venezolanern geholfen, damit fertig zu werden.“ Diese Dynamik lässt sich an am Handelsvolumen der Börsen nachvollziehen: Wenn der Bolivar (die Währung Venezuelas) fällt, steigt die Dynamik in den Orderbüchern; die leichte Zeitverzögerung entspricht der Verzögerung, mit der die Entwertung auf dem Verbrauchermarkt ankommt.

Kryptowährungen retten in Venezuela buchstäblich Leben, wenn die Inflation Werte vernichtet. Aber könnte man spekulieren, dass Krypto es dem Regime in Caracas auch erlaubt, eine Geldpolitik fortzusetzen, die ansonsten längst zum Kollaps geführt haben?

Lopez bestätigt auch die zweite Anwendung, die seit langem im Gespräch ist, die internationalen Überweisungen: „Bis vor kurzem hatte Venezuela keine hohen Migrationsraten. Aber seit 2014 gibt es eine Massenauswanderung wegen der katastrophalen humanitären Situation. Rund ein Viertel der Bevölkerung ist ins Ausland gezogen, weshalb deren Rücküberweisungen eine zunehmend große Rolle in der Volkswirtschaft spielen. Dabei verwenden viele Kryptowährungen“.

Viele zentralisierte Börsen, wenig Altcoins

Unter den lateinamerikanischen Ländern, die Chainalysis vergleicht, hat Venezuela den vielleicht stärksten Druck hin zu Kryptowährungen. Auch andere Länder der Region, etwa Argentinien, haben Probleme mit der Währungsstabilität, oder belasten, wie Brasilien, internationale Zahlungen mit schwierigen Auflagen. Doch nirgendwo sonst ist der Nexus von Inflation, Kapitalkontrollen und Autokratie so stark wie in Venezuela. Daher lässt sich kaum wo so gut beobachten, was passiert, wenn eine Volkswirtschaft Kryptowährungen wirklich braucht.

Auffällig ist nun das folgende: Nirgendwo sonst benutzen so viele Krypto-User zentralisierte Börsen. Der Anteil liegt generell in Lateinamerika relativ hoch, sinkt im Falle Mexikos aber auf etwa die Hälfe, während er bei Venezuela mit 92,5 Prozent mit Abstand am höchsten ist. Trotz der Autokratie der Regierung Maduro sowie den Kapitalkontrollen verlassen sich viele Venezolaner offenbar weiterhin auf Mittelsmänner. Das ist zumindest etwas kontraintuitiv.

Eine weitere Besonderheit ist der geringe Anteil an Altcoins (außer Ethereum) unter den Transaktionen – etwa 10 Prozent – bei einem vergleichbar hohen Anteil von Bitcoin (etwa 17 Prozent) sowie zusammen mit Kolumbien dem höchsten Anteil an Stablecoins – rund 66 Prozent.

Wie sind diese beiden Besonderheiten zu erklären?

Eine de faktor Dollarisierung

Das Magazin Cryptopolitan versucht, eine Antwort zu geben, indem es auch verschiedene Akteure der hiesigen Community zu Wort kommen lässt.

Javier Bastardo, Veranstalter von „Satoshi in Venezuela“, der größten Krypto-Graswurzelbewegung des Landes, und Bitcoin-Botschafter von Bitfinex für Lateinamerika, meint, dass die Venezolaner durch Krypto vor allem den Zugang zum US-Dollar suchen, der globalen Reservewährung. Venezuela bewege sich seit Jahren hin zu einer de fakto Dollar-Ökonomie, in der jeder, der Geld erhält, sich bemüht, es in Dollar zu konvertieren. Da die Menschen es gewohnt sind, Bolivar oder Lebensmittel in Dollar umzurechnen, sind ihnen Stablecoins viel vertrauter als Bitcoin oder Ether, die zudem oft stark im Werk schwanken. Doch obwohl Stablecoins wie Tether eine zunehmende Rolle in der Binnenwirtschaft Venezuelas spielen, seien auch sie meist nur ein Zwischenschritt zu den echten Dollar.

Auch Kevin Hernandez, Gründer des venezolanischen Online-Magazins „Criptodemia“, meint, dass Venezolaner nicht im speziellen an Kryptowährungen interessiert seien, sondern vor allem Zugang zum Dollar suchten. Die ökonomische Unsicherheit drängt sie dabei zu den Optionen mit der geringsten Reibung, also den Plattformen, die es am einfachsten machen, Dollar zu erhalten. Dies sind in der Regel zentralisierte Börsen. P2P-Plattformen sind wegen der hohen Kriminalität in Venezuela und anderen lateinamerikanischen Ländern wenig attraktiv, während dezentrale Börsen vor allem für diejenigen interessant sind, die den Handel mit Altcoins anstreben (wofür die meisten Venezolaner weder Nerven noch Geld haben).

Am Ende läuft es hier wie dort auf den Dollar hinaus. Bitcoin und andere Kryptowährungen sind nützlich – aber werden durch Stablecoins zunehmend überall dort verdrängt, wo ein wirklicher Bedarf nach Krypto besteht.

Über Christoph Bergmann (2807 Artikel)
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